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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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Erdboden. Die kleine Wilde bringt einen Tonkrug mit Tee und gibt ihn der Mulattin, die ihn weiter an den Alten reicht. Er schlürft laut ein paar Schlucke aus dem Krug und gibt ihn dann der Mulattin zurück.
    Er legt den Spiegel wieder in den Rucksack, öffnet das Portemonnaie und nimmt das Foto seines Großvaters heraus. Der Bart ist ergraut, der Mann ist fast nur noch halb so groß, aber es kann sich nur um dieselbe Person handeln. Er gibt dem Alten das Foto. Mittlerweile ist Beta ihm durch den Spalt gefolgt. Sie wendet sich dem Schaukelstuhl zu und fängt wieder zu knurren an.
    Der Alte beachtet sie nicht. Er hat aufgehört zu lachen und starrt auf das Foto. Sein Blick springt zwischen dem Portrait und dem Gesicht des jüngeren Mannes vor ihm hin und her, und mit wachsender Fassungslosigkeit bekommt seine Miene etwas Bedrohliches. Schließlich legt er das Foto auf seinen Schoß und gibt ihm ein Zeichen, noch etwas näher zu kommen.
    Als er auf ihn zutritt, steht die Mulattin auf und geht einen Schritt zurück. Der Alte legt seine kadaverartige Hand auf sein Gesicht, und dabei stellt er fest, dass ihm die kleinen Finger und der Ringfinger fehlen. Die drei Finger, die über seine Wangen, Nase und Augen fahren, sind schlaff und warm. Der Alte zieht die Hand zurück, er scheint verwirrt.
    Bist du echt?
    Ja. Ich bin dein Enkel.
    Der Alte reibt sich die Augen, kneift sich mit Daumen undZeigefinger in die Nase und sieht ihn wieder ungläubig an. Er fängt an zu schnaufen.
    Du wusstest nicht mal, dass du einen Enkel hast, oder?
    Du hättest nicht herkommen dürfen.
    Die Mulattin hält sich die Hand vor den Mund und weicht noch etwas weiter zurück.
    Seit Monaten versuche ich herauszufinden, was mit dir passiert ist. Alle glauben, dass du tot bist. Ich habe Santina kennengelernt.
    Es ist falsch, du hättest nicht herkommen dürfen.
    Der Alte windet sich im Stuhl, schüttelt den Kopf und sagt wiederholt nein, nein.
    Das Mädchen im Bett richtet sich auf und sieht sich beunruhigt um. Ihr Gesicht wirkt irgendwie deformiert, ist aber im Dunkeln kaum zu erkennen. Die Mulattin hockt sich hin und legt die beiden Mädchen wieder ins Bett.
    Die Hündin bellt zwei, drei Mal, erst jetzt bemerkt der Alte sie.
    Mein Vater ist Anfang des Jahres gestorben. Dein Sohn.
    Raus.
    Ist ja gut, ich wollte nur …
    Der Alte steht auf und scheint sich zu doppelter Größe zu entfalten. Er hält ein Messer in der Hand, der Arm baumelt nervös an seinem Körper. Die Mulattin nimmt die Mädchen in die Arme und verfolgt die Szene über die Schulter.
    Ich gehe ja schon. Du kannst das Messer weglegen.
    Der Alte streckt den anderen Arm aus und löscht mit einer schnellen Bewegung die Gaslampe.
    Zum Glück bekommt er im Dunkeln noch rechtzeitig den Arm des Alten zu fassen, spürt aber, wie das Messer ihn an der Hüfte erwischt. Er hört, wie die Hündin sich in das Bein des Alten verbeißt. Er brüllt, dass er aufhören soll, und weiß, dass es zwecklos ist. Die Mädchen stoßen alle gleichzeitig einen Schrei aus und stellen sich gleich darauf tot. Die beiden Männer fallen erst über den Schaukelstuhl und dann in dieKüchenregale. Die einzige Lichtquelle in der Höhle ist jetzt die Glut unter der Kochplatte, und er versucht, den Alten in diese Richtung zu drängen. Er gibt keinen Laut von sich, er spannt seinen knochigen Körper an und attackiert ihn unablässig wie eine Bananenspinne, die ihr Opfer umklammert, um ihm ihr Gift einzuflößen. Es gelingt ihm, den Alten auf die Feuerstelle zu werfen und sich aus seinen Klauen zu befreien. Er tastet sich an der Wand entlang in Richtung Ausgang, findet den Spalt jedoch nicht wieder. Als ein Blitz die anderen beiden Öffnungen beleuchtet, stürzt er durch die nähere. Sie führt auf einen Felsvorsprung, der tagsüber wahrscheinlich einen Blick über das ganze Tal bietet, jetzt aber lediglich ins Nichts führt. Er fürchtet, der Alte könne ihm jeden Moment an die Kehle gehen, und stolpert blind den Abhang hinunter, bis er mit Händen und Oberschenkeln in den Stacheldrahtzaun gerät. Er schreit vor Schmerz auf und ist gleichzeitig erleichtert zu wissen, dass er von hier aus die Talsohle, den Bach und den Strand erreichen kann.
    Als er genug Vorsprung hat, um sich halbwegs sicher zu fühlen, bleibt er stehen, um das Messer mit dem Gürteltiergriff aus dem Rucksack zu holen, aber dann wird ihm klar, dass er nicht nur den Rucksack, sondern auch die Hündin vergessen hat. Er will nach ihr rufen, aber ihr Name

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