Flut
ab. Val, hol mal das kleine schmutzige Handtuch, das ich an die Plane gehängt habe.
Er ruft mehrmals nach ihr, bis er sie endlich überzeugen kann, dass sie willkommen ist, und trocknet sie dann sorgfältig ab, während Ente den Mate zubereitet. Der Rauch vomJoint breitet sich unter der Plane aus und vermischt sich mit den Gerüchen von Milch, Babykot und Plastikplane. Ente spuckt das lauwarme Wasser vom ersten Aufguss aus und füllt die Kalebasse ein zweites Mal mit dampfendem Wasser.
Hier, Urwaldmensch. Du zitterst ja vor Kälte. Mate aus Regenwasser, weckt die Lebensgeister.
Sie trinken Tee, essen Paranüsse und bewundern die Blitze am Nachthimmel. Der kleine Ítalo beruhigt sich etwas, und die Mutter stellt die Wiege zurück ins Zelt.
Du kannst hier schlafen, wenn du willst. Wir haben aber keine Isomatte, und die Decke ist nass geworden.
Ich will euch keine Umstände machen.
Machst du nicht.
Na gut. Ich hab einen Schlafsack. Danke.
Er holt den feuchten Schlafsack aus dem Rucksack und breitet ihn unter der Plane aus.
Wohin wanderst du eigentlich?
Nirgendwohin. Aber ich glaube, morgen mach ich mich langsam mal auf den Heimweg.
Wie lange bis du schon unterwegs?
Ich weiß es nicht genau. Ich schätze, zehn Tage.
Könnte auch mehr sein, so wie du aussiehst.
Meint ihr, ich komme von Pinheira per Anhalter nach Garopaba?
Bestimmt. Morgen früh geh ich runter ins Tal, um Ítalos Windeln zu waschen. Dann kommst du mit, und ich zeig dir den Weg. Ist nicht weit. Du musst nur aufpassen, dass du den richtigen Pfad erwischst. Sonst läufst du den Hügel hoch und landest im Nichts, oder bei der Höhle des Alten.
Der Höhle des Alten?
Es gibt da so einen merkwürdigen Alten, der in einer Höhle wohnt.
Wo?
Auf der anderen Seite vom Tal.
Wie kommt man da hin?
Er lässt niemanden zu sich. Und er ist auch nicht immer da. Hab ich jedenfalls gehört. Ich war selbst nie dort. Niemand geht da hin.
Kannst du mir trotzdem erklären, wie man hinkommt?
Die Höhle liegt mitten im Wald zwischen zwei Wegen. Der eine führt durchs Tal, der andere über den Hügel. Den Eingang sieht man erst, wenn man praktisch direkt davorsteht. Den Weg im Tal bin ich mal lang gelaufen. Irgendwo ist ein Stacheldrahtzaun, von dort sieht man die Höhle. Die Fischer in Pinheira sagen, er sei zweihundert Jahre alt, und manchmal legen sie ihm Fisch und Mehl auf den Pfad. Wahrscheinlich hat er irgendeine ansteckende Krankheit, zumindest soll man ihm nicht zu nahe kommen.
Er rollt den Schlafsack wieder ein.
Kannst du mir zeigen, wie man zu dem Pfad kommt?
Willst du etwa jetzt dahin?
Ja, will ich.
Ich zeig’s dir morgen früh. Jetzt kann man sowieso nichts erkennen.
Ich gehe jetzt. Zeigst du mir den Weg oder nicht?
Ich lauf doch nicht bei dem Regen durch den dunklen Wald.
Lass ihn gehen, murrt Val im Zelt. Das Baby fängt wieder an zu schreien.
Der Schlafsack ist nicht richtig zusammengerollt und passt nicht in die Plastiktüte.
Ich lass die Sachen hier, okay? Ich hol sie später wieder ab.
Das hat bestimmt seinen Grund, dass da nie jemand hingeht. Wahrscheinlich ist die Geschichte mit dem Alten auch nur Seemannsgarn. Ich hab’s einfach so dahergesagt.
Wenn er unbedingt will, lass ihn doch gehen, sagt Val gereizt.
Kannst du mir wenigstens zeigen, in welcher Richtung der Pfad ungefähr liegt?
Nur, wenn du mir erklärst, warum du es so eilig hast.
Ich glaube, der Alte in der Höhle ist mein Großvater.
Jarbas, komm mal.
Ente schiebt die Brille mit der Fingerspitze die Nase hoch und neigt den Kopf, um ihn besser ansehen zu können, dann folgt er Vals Ruf und krabbelt ins Zelt. Irgendwie erinnert er an eine Schildkröte. Der Reißverschluss wird zugezogen. Im grellen Licht eines weiteren Blitzes kommt ihm plötzlich der naheliegende Gedanke, dass er für die beiden eine ziemlich beunruhigende Gestalt abgeben muss und dass ihre Gastfreundschaft nur ein Zeichen von Angst ist. Durch den Regen und das Babygeschrei hört er sie flüstern. Er will so schnell wie möglich los. Ente kommt aus dem Zelt und erklärt ihm, wie er den Pfad findet, der ihn in die Nähe der Höhle führt. Er soll den Weg weiter bergab laufen bis zu einem kleinen Strand, an dem ein verlassener Fischerschuppen steht, dann den Bach in der Talsohle überqueren und links abbiegen, statt weiter dem Hauptpfad zu folgen. Nach einer Weile wird er auf einen anderen Weg stoßen, an dem der Stacheldrahtzaun liegt. Im Zaun ist eine Art Tor, das allerdings eher wie ein Knäuel
Weitere Kostenlose Bücher