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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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du auf, überall herumzufragen. Auch deshalb hab ich dir geholfen. Dass du zur Vernunft kommst.
    Ich habe schon aufgehört, Dona Cecina. Es ist vorbei. Ich stehe tief in Ihrer Schuld. Danke, dass Sie mir geholfen haben.
    Sie sieht ihn an wie einen Taschendieb, der ihr über die Straße helfen will.
    Du warst lange weg.
    Ich war unterwegs.
    Unterwegs? Wo zum Himmel warst du denn? Hier steht ja alles unter Wasser.
    Ich war in Porto Alegre, ich musste da ein paar Dinge regeln. Es ging um den Tod meines Vaters, Behördengänge und solche Sachen.
    Dona Cecina wendet das Gesicht ab, sie scheint nicht sehr überzeugt. Er kann sich vorstellen, was sie gerade denkt. Wie erwartet hat ein Winter gereicht, um aus dem jungen, engagierten Sportlehrer, der bloß ein einfaches Leben mit Blick aufs Meer leben wollte und seine guten Absichten mit einem Scheck über mehrere Tausende Reais bekräftigt hat, einen scheuen, schmutzigen, kranken und lügnerischen Bettler zu machen. Mit Sicherheit waren Drogen im Spiel. Jedenfalls ist sie froh, das Geld im Voraus bekommen zu haben.
    Hat der Regen hier viel Schaden angerichtet, Dona Cecina?
    Hier nicht. Ein paar Löcher in den Straßen. Der Zugang zur Praia da Ferrugem war ein paar Tage lang zu, aber jetzt ist alles wieder frei. Was uns hier am meisten betrifft, ist, dass beim Morro do Cavalo schon wieder ein Erdrutsch die Bundesstraße blockiert. Hast du davon gehört? Mein Neffe studiert Tiermedizin und steckt seit zwei Tagen in Florianópolis fest. In Blumenau und Itajaí sieht es richtig schlimm aus. Gestern stand in der Zeitung, dass schon achtundsechzig Menschen gestorben sind. Bestimmt sind es noch viel mehr. Sie haben nur noch nicht alle Leichen gefunden. Im Fernsehen hab ich gesehen, dass die freiwilligen Helfer Spenden geklaut haben. Das ist vielleicht eine Tragödie. In meinen sechzig Jahren hab ich noch nicht so viel Regen erlebt.
    Schrecklich. Wenigstens wurde Garopaba verschont.
    Ja, wir sind gesegnet.
    Und wer hat die Wahl gewonnen?
    Es wird eine Stichwahl geben. Hast du das auch nicht mitbekommen?
    Nein. Ich bin überhaupt nicht auf dem Laufenden.
    Sie wirft einen Blick in die Wohnung.
    Vor Kurzem war jemand hier und hat nach dir gesucht.
    Mann oder Frau?
    Ein Mann. Er hat nur seinen Spitznamen genannt. Einbisschen dunkelhäutig, Glatzkopf. Du hast doch nichts mit Drogen zu tun, oder?
    Bonobo vielleicht?
    Ja, ich glaube, so hieß er.
    Was wollte er?
    Wissen, wo du steckst. Ich habe ihm gesagt, dass ich dich seit Tagen nicht gesehen habe.
    Das ist ein Freund von mir. Ich werde ihn anrufen. Danke, Dona Cecina.
    Nachdem die Vermieterin sich verabschiedet hat, nimmt er den schwarzen Regenschirm und geht nochmal in den Supermarkt, um sich eine Prepaidkarte für sein Handy zu kaufen. Unterwegs bemerkt er, dass er immer noch extra langsam läuft, damit Beta ihm folgen kann. Er sieht sich dauernd grundlos um, als könnte sie wie durch ein Wunder plötzlich hinter ihm auftauchen. Irgendetwas liegt ihm im Magen. Kein Schmerz, eher eine Art Übelkeit, als würden seine Eingeweide sich vor sich selbst ekeln. Im Supermarkt und vor ihren Häusern erwidern die Leute seinen Gruß wie aus Respekt gegenüber dem Feind. Er hat ihnen nichts getan, aber er weiß, dass er wie ein Gespenst auf sie wirken muss. Das alles erfüllt ihn mit tiefer Traurigkeit. Seinem Großvater wird es genauso ergangen sein, nur noch viel intensiver. Diese Traurigkeit war der Quell seiner übermenschlichen Kräfte.
    Zu Hause lädt er sein Handy auf, duscht warm und macht sich ein Käse-Schinken-Omelett. Er ist nach wie vor durchgefroren, und nichts kann ihn wärmen. Jogginghose und zwei Wollpullover reichen nicht aus. Die Hustenanfälle werden häufiger. Er wickelt sich in eine Decke und wählt eine Telefonnummer.
    Bonobo.
    Schwimmer.
    Er fragt, ob er vorbeikommen will, aber Bonobo ist in Porto Alegre. Ja, er sei vor ein paar Tagen bei ihm gewesen, um ihm zu erzählen, dass er endlich zu seinem kranken Vater fahrenwollte, dank des Gesprächs, das sie vor Altairs Kiosk geführt hatten. Er hat zum ersten Mal seine neunjährige Halbschwester getroffen, die er bisher nur aus Erzählungen kannte. Und er war im Viertel seiner Kindheit und hat dort seine andere Schwester besucht, die er seit über einem Jahr nicht gesehen hat. Sein Vater hatte gerade einen Riss in der Aorta überlebt und war sehr geschwächt. Er hatte das unglaubliche Glück, dass er zufällig gerade einem Kardiologen ein Grundstück zeigte, als er plötzlich

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