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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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Schmerzen in der Brust verspürte und ihm der kalte Schweiß ausbrach. Der Arzt stellte Unregelmäßigkeiten im Puls fest, rief einen Kollegen an und steckte ihn in ein Taxi. Er wurde gerade noch rechtzeitig operiert. Sein Zustand sei trotzdem problematisch. Die neue Frau seines Vaters hat ihn angefleht, keine Themen anzusprechen, die ihn zu sehr aufregen und womöglich zu einem erneuten Anfall führen könnten. Daher verlief das Gespräch etwas steif, und ein paar alte Rechnungen waren noch offen. Nichtsdestotrotz wurde um Verzeihung gebeten, es wurde verziehen und der eine oder andere Witz gerissen. Er hatte seinen Vater seit fünf Jahren nicht gesehen.
    Du hattest recht bei unserem Gespräch am Kiosk, sagt Bonobo. Es war gut, dass ich hergekommen bin. Ich erkenne mich in dem Alten wieder. Fast wäre ich genauso ein Arschloch geworden wie er. Jetzt hat er seine neue Familie, ist ruhiger geworden und lebt als Rentner von den Grundstücken, die er über die Jahre gekauft hat. Seine Frau und meine Halbschwester haben ihn gern. Und ich hab mich auch aus der Scheiße gezogen und betreib eine kleine Pension am Meer. Ich glaube, er war von mir genauso überrascht wie ich von ihm. Vielleicht wären wir beide irgendwann gestorben, ohne das alles zu erfahren. Weißt du, was ich meine?
    Doch, klar.
    Und wie geht’s dir so? Du bist ja gar nicht mehr ans Telefon gegangen. Die Alte, die dir die Wohnung vermietet, meinte, du seist verschwunden.
    Ich hab in etwa herausbekommen, was mit meinem Großvater passiert ist. Er lebt. Ich hab ihn in einer Höhle in der Nähe von Pinheira gefunden.
    Das ist nicht wahr.
    Ihm fehlten zwei Finger an der rechten Hand, genau, wie mein Vater es mir erzählt hat.
    Alter, bist du sicher, dass du das nicht geträumt hast? Das klingt wie ein Traum.
    Ich erzähl dir alles, wenn du wieder da bist. Ich hab kaum noch Guthaben. Eigentlich wollte ich dich um einen Gefallen bitten. Ich hab Beta in den Hügeln verloren. Ich muss zurück und sie suchen.
    Was für Hügel?
    In der Nähe von Pinheira. Das ist eine lange Geschichte, auf jeden Fall muss ich da hin und sie suchen. Ich glaube kaum, dass ich sie finde, aber ich hab keine Ruhe, solange ich es nicht wenigstens versuche. Es geht mir echt dreckig. Das war die Hündin meines Vaters, Mann. Ich hab ihm vor seinem Tod versprochen, sie einschläfern zu lassen.
    Verstehe.
    Ich hab alles falsch gemacht.
    Ganz ruhig, tchê , wir werden sie finden.
    Das macht mich total fertig. Ich dachte, wir könnten vielleicht mit dem Tetanus nach Pinheira fahren und du hilfst mir beim Suchen. In meinem Zustand krieg ich das alleine nicht hin. Wir könnten ja vielleicht zwei Tage bleiben. Wann kommst du zurück?
    In drei Tagen.
    Scheiße. Kannst du nicht schon morgen kommen?
    Das geht nicht. Aber wenn du so lange warten kannst, fahren wir natürlich zusammen. Ich bin dir was schuldig.
    Okay, ich warte. Und danke.
    Ich komm direkt vorbei, wenn ich wieder da bin. Du hast mir gefehlt, Mann.
    Ja, du mir auch. Viel Glück in Porto Alegre.
    Dir auch.
    Am Samstag kommt er kaum aus dem Bett. Der Husten ist in den letzten zwei Tagen viel schlimmer geworden, er hat außerdem Schmerzen in der Brust und Schüttelfrost. Gegen Abend lässt der Regen nach, das Meer glättet sich, und für einen kurzen Moment zeigt sich ein feuriger Sonnenuntergang am Himmel. Sein rasselnder Atem hallt durch die Stille, und er will sich gerade aufraffen und zum Arzt gehen, als er das kreischende Bellen seiner Hündin hört.
    Er muss sich getäuscht haben, vielleicht war es ein anderer Hund, oder er hat es sich eingebildet. Aber das Bellen setzt wieder ein. Es klingt verzweifelt und scheint von weit her zu kommen, vom Strand, von den Hügeln und gleichzeitig aus den Wänden der Wohnung. Er zieht die Turnschuhe an und geht vor die Tür. Der Schüttelfrost wird stärker, es durchfährt ihn wie Stromschläge. Er glaubt, den Verstand verloren zu haben oder im Fieber zu delirieren. Wieder das Bellen. Diesmal ist er fast sicher, dass es vom Strand oder von der Promenade kommt.
    Er lässt die Wohnung offen und läuft mit den Armen vor der Brust verschränkt los. Vor den Lichtern der leeren Restaurants setzt das rasende Bellen wieder ein. Ohne sich umzusehen, überquert er die Straße. Ein Auto blendet auf und hupt zwei Mal. Das Bellen kommt aus einer kleinen Bar, die für ihre mit Bergamottenblättern und einem Schuss Cointreau zubereiteten Caipirinhas bekannt ist und außerhalb der Saison nur selten geöffnet ist.

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