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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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Die Wohnung im Erdgeschoss. Vielen Dank für deine Hilfe, tut mir leid, dass ich dir das Training versaut hab.
    Ach was.
    Musst du bei der Prüfung auch schwimmen?
    Ja.
    Und, kannst du gut schwimmen?
    Eher beschissen. Genau das ist mein Problem.
    Komm mal in ein paar Tagen bei mir vorbei, dann geb ich dir ein paar Tipps. Ich bin Schwimmlehrer.
    Echt?
    Ja, echt. Komm auf jeden Fall vorbei. Als Rettungsschwimmer musst du vor allem gut schwimmen können.
    Okay, abgemacht, dann komm ich. Bis demnächst, Schiffbrüchiger!
    Der Mann dreht sich um und läuft wieder los in Richtung Siriú. Er nimmt seine Wohnung ins Visier und geht das letzte Stück allein. Die Mittagsgäste der Strandlokale beobachten ihn aus der Ferne, ihre Blicke bleiben lange an ihm hängen. Ein paar Fischer, die am Strand an ihren Booten arbeiten, halten inne und sehen zu ihm rüber. Er grüßt mit einer kurzen Handbewegung, und sie antworten mit beinahe unmerklichem Kopfnicken.
    Auf der Treppe zu seiner Wohnung zittern ihm die Knie. Das Meer ist hier in der Bucht extrem ruhig und glatt. Er betritt den dunklen Gang zwischen den Häusern und holt den Schlüssel aus dem Versteck im Gebüsch. Aus der Stille des muffigen Wohnzimmers schreit ihm Betas Abwesenheit entgegen. Er öffnet die Fenster, um Licht hineinzulassen. Die Wohnung ist unfassbar feucht. Tropfen laufen an den Wänden und Küchengeräten herunter und bilden große Pfützen auf den Fliesen.
    Er geht ins Badezimmer, schaut in den Spiegel und sieht einen alten Mann. Er hat sich sein ganzes Leben lang immer zum ersten Mal gesehen, aber diesmal ist es anders. Er kannseinen Schädel hinter der Stirn und den Wangen erkennen. Die Augen liegen tief in ihren Höhlen. Die Haut wirkt verbrannt, trotz des wochenlangen Regens. Sein langer Bart ist voll Sand. Er weiß nicht mehr, wie er vorher aussah, aber so nicht. Er versteht jetzt, was sein Großvater gesehen hat. Eine Erscheinung, eine jüngere Version seiner selbst. Etwas, das nicht hätte sein dürfen.
    Er zieht sich die nassen Sachen aus und bemerkt, wie die Knochen ihm fast aus den Schultern treten, wie das Schlüsselbein und die Rippen hervorstechen. Er hat überall Schürfwunden, aber nichts wirklich Schlimmes. Auch der Schnitt an der Hüfte ist nicht tief.
    Er geht in die Küche und trinkt etwas Leitungswasser. Die Früchte und das Gemüse im Kühlschrank sind verdorben. Er findet einen halbvollen Becher Pudding, schlingt ihn mit einem Löffel in Sekundenschnelle runter und isst dann den Rest aus dem Honigglas mit einer Packung Cracker, die er im Schrank entdeckt hat. Nachdem er gegessen hat, geht er zurück ins Badezimmer und duscht ausdauernd und heiß. Mit dem warmen Wasser kommt die Erschöpfung, und er hat Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Zum Abtrocknen muss er sich auf die Toilette setzen. Danach wickelt er sich in sämtliche verfügbaren Decken und lässt sich aufs Bett fallen. Ihm fällt ein, dass er noch etwas zu essen kaufen muss. Und eine Zahnbürste und Zahnpasta. Und einen Regenschirm.
    Die nächsten beiden Tage verbringt er mehr schlafend als wach. Die Wohnung verlässt er nur, um Geld abzuheben und im kleinen Supermarkt in der Nähe einzukaufen. Er kennt Namen, Lage und Funktion jedes einzelnen Muskels des menschlichen Körpers und weiß genau, welcher ihm wann wehtut. Sie schmerzen alle. Er hat Schmerzen im Gesicht. Aber es sind normale Schmerzen. Schmerzen, an die sich ein Sportler gewöhnt. Wenn er morgens aufsteht, regnet es. Die wenigen Boote, die noch draußen liegen, werden nichtbewegt. Lange Wellen schlagen gegen die Türen der Fischerschuppen. Entlang der Bucht mündet überall lehmiges Wasser aus Flüssen, Rinnen und Erdstraßen ins grüne Meer und bildet große, milchkaffeebraune Flecken.
    Am zweiten Tag taucht Dona Cecina mit einem geblümten Regenschirm bei ihm auf. Er bittet sie in die Wohnung, aber sie bleibt mit einem ernsten Lächeln in der Tür stehen.
    Du bist krank, mein Junge. Ich hab dir gesagt, dass du krank bist.
    Er hustet, bevor er antwortet.
    Mir geht es gut, Dona Cecina.
    Nein, du bist krank. Du siehst aus wie ein toter Fisch, geh mal zum Arzt.
    Ja, mach ich, keine Sorge.
    Wo ist deine Hündin?
    Ich hab sie verloren, Dona Cecina.
    Oh je, das ist schlimm.
    Das kann man wohl sagen. Ich weiß nicht, was ich machen soll.
    Sie senkt die Stimme.
    Hast du mit Santina gesprochen?
    Ja. Und sie hat mir alles erzählt. Jedenfalls ihre Version der Dinge.
    Es gibt keine andere Version. Und jetzt hörst

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