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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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Und dann ist die ganze Geschichte eskaliert, auf einmal waren die alle auf seiner Seite. Offenbar war er total beliebt gewesen, aber in der Verwaltung hat das keiner mitbekommen. Wenn man ihm beim Training zusah, war er immer ziemlich arschig, hat die Leute dauernd zurechtgewiesen. Insgesamt eher streng. […] Ja, das war das Komische. Von Weitem hatte man das Gefühl, er würde nie mit jemandem reden und nur seinen Job machen. Ich dachte, die Leute hassen den Kerl. Dann kam einer unserer Schüler, Tatanka – […] Kennst du Tatanka? Genau, der Surfer, ist oft da, stimmt, jedenfalls, Tantanka hat mir erzählt, er habe durch ihn herausgefunden, dass er total falsch schwimme, er sei seit Jahren hier und keiner der anderen Trainer habe ihn je korrigiert, und der Typ sei hier angekommen, und zwei Monate später hätten sich seine Zeiten extrem verbessert und er sei in Torres unter die ersten drei gekommen. Ein paar Frauen sind zu Maíra gegangen, auch eine Lehrerin bei uns, und meinten zu ihr, sie würden nur seinetwegen bei uns schwimmen. Sie fänden es gut, dass er da sei. […] Das haben sie gesagt. Dass sie es gut fänden, dass er da sei. Keine Ahnung, was das heißen soll. […] Zwei Jahre vorher hatte er sich von einer Frau getrennt. Stille Wasser sind tief, würde ich mal sagen. […] Genau. So einer. […] Na ja, das Ergebnis war, dass ich hinter ihm her bin und ihn gebeten habe zurückzukommen. Was er auch umstandslos gemacht hat. Und dann blieb er noch knapp zwei Jahre hier, bis letzten Monat. Wir haben uns immer lustig über ihn gemacht, weil er sich keine Gesichter merken kann. Hat er dir das erzählt? […] Frag ihn, das stimmt wirklich, er hat irgendeine seltene Gehirnkrankheit. Wahrscheinlich ist er auch deswegen so komisch. […] Müsst ihr sehen, ob er bei euch reinpasst. Die Leute hier mochten ihn sehr, nur ich bin eben nicht so richtig mit ihm … er ist eben sehr verschlossen, mit solchen Leuten komm ich nicht gut klar. Aber glaub mir, Panela. Der Typ ist gut. Immer auf dem neuesten Stand. Ein super Trainer, echt. Mach’s gut. Und nicht vergessen: immer schön warmes Wasser und coole Musik.

4.
    In kalten Nächten stirbt der Sommer einen langsamen Tod. Dália liegt im Wohnzimmer auf dem Sofa, sie stellt den Milchkaffee auf ihre ausgestreckten Beine und blickt durchs Fenster auf die glitzernde Oberfläche des Meeres, das aussieht, als würde es genau wie sie darauf warten, dass die Sonne aufgeht, um sie zu wärmen. Er sitzt auf dem Sofa an der Wand gegenüber, aber das Zimmer ist so klein, dass sie nur die Hände ausstrecken müssen, um sich zu berühren. Er betrachtet Dálias krauses Haar im Gegenlicht, die für ihr Gesicht feinen Züge, die aufgeworfene Oberlippe. Es fühlt sich gut an, eine so schöne Frau in der Nähe zu haben. In Gedanken zeichnet er die Umstände nach, die sie hierher geführt haben, als wäre es sein Werk. Einheimische Kinder laufen lachend vor dem Fenster vorbei, barfuß und in Badesachen, Stöcke und Angeln, Kekse und bunte Plastikeimer im Gepäck, und spähen vollkommen ungeniert in die Wohnung. Der Himmel ist klar, aber aus irgendeinem Grund ahnt er, dass es noch regnen wird. Nach mehreren Wochen in Garopaba ist er in der Lage, intuitiv meteorologische Schlüsse zu ziehen, aufgrund von Anzeichen, die er noch nicht mal richtig benennen könnte, die Windrichtung, die Luftfeuchtigkeit in der Wohnung, das Verhalten der Vögel, die Geräusche von weit draußen auf dem Meer. Dália schaltet mit dem großen Zeh den Fernseher auf der Kommode ein, sie will die Zeichentrickfilme im Vormittagsfernsehen sehen. Als stattdessen die Moderatorin Ana Maria Braga auf dem Bildschirm erscheint, macht er sie darauf aufmerksam, dass der Fernseher sich in spätestens einer Minute von allein ausschaltet, was auch der Fall ist. Das geht schon seit der zweiten Woche so. Dona Cecina hat ihmerklärt, das liege an der Gischt und an der salzigen Meeresluft, die auch dafür verantwortlich ist, dass das Grillmesser, das er von seinem Vater geschenkt bekommen hat, zu rosten anfängt, und die alles mit einem öligen Film bedeckt und so die Metalle mit alarmierender Geschwindigkeit zersetzt, da könne man gar nichts gegen tun. Die Tür ist offen, und er hört, wie draußen Beta mit den Krallen über den Zement und dann über die Keramikfliesen in der Wohnung scharrt. Er schnipst mit den Fingern, stößt einen kurzen Pfiff aus und ruft nach ihr, fast alles gleichzeitig, zumal er nicht genau weiß, wie sie es

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