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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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will weder surfen noch vor irgendetwas davonlaufen, weswegen ja angeblich sonst alle herkommen.
    Wenn das jemand behauptet hat, ich war’s nicht. Ich weiß von nichts.
    Ab nächsten Montag gebe ich im Fitnessstudio Schwimmkurse.
    Schwimmst du im Meer?
    Ja.
    Vorsicht, demnächst fängt hier die Meeräschen-Saison an. Da holen dich die Fischer aus dem Wasser.
    Sie haben mich schon vorgewarnt.
    Als er mit dem Rasiermesser fertig ist, legt Zé ihm ein trockenes Handtuch übers Gesicht und taucht die Hände in ein rosafarbenes Duftwasser, das nach Alkohol riecht.
    Weißt du, woran wir hier einen Gaúcho erkennen?
    Zé zeigt auf die Füße seines Kunden, die auf der Stütze des Stuhls stehen.
    Wenn das Füßchen zuckt, ist es ein Gaúcho.
    Dann wollen wir mal sehen.
    Das Rasierwasser brennt am Hals, aber seine Füße zucken nicht.
    Du bist kein echter Gaúcho.
    Zé bringt den Stuhl in die normale Position und geht ins Bad. Er steht auf und sieht sich im Spiegel an. Er betrachtet die perfekte Kontur und die noch leicht gerötete Haut. Es fällt ihm schwer, den Unterschied zu erkennen, zumal er nicht mehr genau weiß, wie es vorher aussah.
    Bleibst du noch auf ein Bier?, fragt Zé, als er aus dem Bad kommt.
    Ich muss los. Was macht das?
    Ich hab doch gesagt, du bist eingeladen, Junge.
    Stimmt. Ist gut geworden, danke. Passen Sie auf mein Auto auf. Sollte es in den ersten Tagen irgendein Problem geben, rufen Sie mich an. Schönes Wochenende.
    Soll ich dich fahren?
    Danke, ich geh zu Fuß. Ist gleich da unten am Strand.
    Falls du Land kaufen willst, ich hab drei Grundstücke in Siriú.
    Ich werd’s mir merken.
    Er gibt dem Barbier die Hand und tritt auf die Straße. Die Sonne ist fast hinter den Hügeln verschwunden, eine kühle Brise weht in Richtung Meer. Er läuft ein Stück, kehrt dann um und läuft zurück in den Barbiersalon.
    Senhor Zé, sind Sie aus Garopaba?
    Ja, wieso?
    Haben Sie schon immer hier gewohnt?
    Fast. Ein paar Jahre war ich in São Paulo.
    Ende der sechziger Jahre hat mein Großvater eine Zeit lang hier gelebt. Er wurde damals der Gaúcho genannt. Sagt Ihnen das was?
    Der Gaúcho, hmm …
    Zé denkt eine Weile nach, dann dreht er sich um, sagt, dass er mit seiner Frau sprechen will, und geht vor in die Bar. Die Frau trägt eine Halskrause, sie will wissen, wer er sei und warum er nach seinem Großvater frage. Er antwortet, er gehe nur einer alten Familiengeschichte auf den Grund, lediglich aus Neugier. Sie fragt, ob er sich schon bei anderen Leuten erkundigt habe, und als er bejaht, will sie wissen, bei wem. Sie lächelt nicht, aber sie wirkt auch nicht unfreundlich. Sie neigt den Kopf leicht zur Seite, als wolle sie ihn mustern, trotz der Halskrause. Manchmal verspürt er den Drang, sich die Gesichter bestimmter Menschen einzuprägen, obwohl sie keine Bedeutung für ihn haben und er sie wahrscheinlich nie wiedersehen wird, eine Apothekerin, der Cousin von jemandem, der auf eine Party geht und nur zu Besuch in der Stadt ist, ein Patient im Wartezimmer beimZahnarzt. Dieses intuitive Bedürfnis erweist sich später nie als gerechtfertigt, jedenfalls nicht, dass er sich daran erinnern könnte, aber in dem Moment scheint es doch zwingend, so wie jetzt bei der Frau mit dem steifen Hals, die sonst aber keinerlei Besonderheiten im Gesicht oder sonst wo aufweist, eine Frau, an die man sich normalerweise nicht erinnern würde und die man sich auch gar nicht vorstellen könnte. Er beschließt zu lügen. Er wisse nicht mehr, mit wem er gesprochen habe. Nur mit ein oder zwei Leuten, die er nicht kannte. Sie sagt nichts mehr und verschwindet durch die Hintertür. Durch einen Spalt fällt sein Blick auf ein Wohnzimmer mit blauen Wänden und einem abgewetzten Sofa. Zé stützt sich mit beiden Armen auf den Tresen. Plötzlich ist es düster in der Bar. Draußen dämmert es. Der Barbier spricht ganz leise.
    Kümmere dich nicht um sie. Ich erinnere mich an den Gaúcho.
    Haben Sie ihn gekannt?
    Nein, ich erinnere mich nur an ihn. Er wohnte in einem kleinen Haus in der Nähe der Kirche, wo sie die neue Siedlung hingesetzt haben. Damals war ich nicht mal zwanzig. Er hat meinem Bruder mal Geld gegeben, damit er ihm sein Fahrrad repariert.
    Wie heißt Ihr Bruder?
    Dilmar.
    Meinen Sie, ich könnte mal mit ihm reden?
    Nein. Er ist tot.
    Stimmt es, dass mein Großvater hier ermordet wurde?
    Keine Ahnung. Aber behalt solche Fragen besser für dich.
    Warum?
    Weil man über so etwas nicht spricht. Es spielt keine Rolle, ob es stimmt

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