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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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am liebsten hat, jetzt wo sie sich nicht mehr an den gewohnten Gesten seines Vaters orientieren kann. Die Hündin kommt auf ihn zu. Seit ein paar Tagen reagiert sie etwas enthusiastischer, wenn er sie ruft, und begleitet ihn auf der Straße ohne Leine. Er ist froh über die Verantwortung, auf sie aufpassen zu müssen, über die konkrete Aufgabe, sie aufzupäppeln und am Leben zu halten. Er streichelt ihr über den Kopf, fährt mit der Hand über das kurze, dichte Fell, den blaugrauen, mit rostroten Tüpfelchen gesprenkelten Rücken.
    Du musst ihr den Nacken kraulen, sagt Dália. Das mag sie.
    Woher willst du das wissen? Mein Vater hat das nie gemacht.
    Beta, Beta, komm her.
    Die Hündin läuft zu ihr hin. Dália greift ihr in den Nacken und zieht sie hoch, so dass sie in der Luft hängt, was brutal und bei einem erwachsenen Tier unangebracht wirkt.
    Lass das. Du tust ihr weh.
    Das tut nicht weh. Du hast keine Ahnung von Hunden.
    Dália nimmt die Hündin auf den Schoß.
    So hat ihre Mutter sie getragen, als sie noch ein Welpe war, was? Sag’s ihm, Beta.
    Sie nimmt das lose Fell und reibt es mit den Fingerspitzen aneinander. Beta senkt den Kopf und schließt die Augen.
    Siehst du? Hunde lieben das. Es erinnert sie an ihre Mutter, wenn man sie da anfasst.
    Sein Handy klingelt. Er steht auf und holt es aus der Küche.
    Rate mal, wer hier ist.
    Mama, wer sonst. Um das zu erraten, muss ich kein Genie sein.
    Er geht zum Telefonieren vor die Tür. Sie führen ungefähr dasselbe Gespräch wie die letzten Male. Los geht es mit ein paar praktischen Fragen zu den Hinterlassenschaften seines Vaters, irgendwelchen Schulden und wer was bekommen soll, und als Nächstes kommt sie darauf zu sprechen, warum er nicht in Porto Alegre sei, und vergleicht ihn mit seinem älteren Bruder, der immer besser abschneidet, was sie gleichzeitig vergeblich zu verbergen versucht. Er hingegen versucht, es zu ignorieren, protestiert dann aber doch, und schließlich geben sich beide Mühe, das Gespräch schnell zu beenden, bevor es richtig unangenehm wird. Am Ende fragt sie, ob er vorhabe, zum Muttertag zurückzukommen. Er ärgert sich über das Wort zurückkommen , woraufhin sie erwidert, das sei nur eine Ausdrucksweise, deswegen müsse er sich nicht so aufregen. Er sagt, er rege sich nicht auf, und das stimmt, er hat nicht das Gefühl, sich aufzuregen. Es ist eher so, dass er es leid ist. Er sagt, er wisse es noch nicht, er werde darüber nachdenken und ihr dann Bescheid geben. Kurz nachdem sie aufgelegt haben, wird ihm bewusst, dass sie dieses Jahr zum ersten Mal niemand am Muttertag zum Mittagessen ausführen wird. Diese Aufgabe hatte in den letzten Jahren er übernommen. Er ist kurz davor, sie zurückzurufen.
    Alles in Ordnung?
    Ja.
    Verstehst du dich gut mit ihr?
    Ja, geht.
    Muss beschissen für sie sein, jetzt ganz allein zu sein.
    Es geht ihr gut. Mein Vater hat ihr ein paar Sachen vererbt, und sie spielt den Vermittler zwischen meinem Bruder und mir, zumal ich nicht mit ihm rede. Sie ist ziemlich fit für ihr Alter und hat einen wohlhabenden Freund aus einer Notarsfamilie. Und in jedem Fall liegt ihr anderer Sohn ihr mehr am Herzen. Ich stand nur in letzter Zeit eher zur Verfügung. Sie gewöhnt sich schon daran.
    Eure Eltern waren geschieden?
    Genau.
    Und warum sprichst du nicht mit deinem Bruder?
    Es lohnt sich nicht, darüber zu reden. Meine Familie ist ein hoffnungsloser Fall.
    Er legt das Handy auf den Tisch und setzt sich rücklings vor sie auf den Boden. Ihre langen Fingernägel fahren zärtlich über seinen Nacken.
    Kann es sein, dass er das auch mag, Beta?
    Ein wohliges Gefühl strahlt in Wellen bis in die Fingerspitzen aus. Er seufzt und spürt, wie er sich langsam entspannt.
    Ich wollte dich um etwas bitten, sagt Dália.
    Sie hat einen weiteren Job angenommen und wird ab der kommenden Woche in einer Boutique in Imbituba Bikinis verkaufen. Eine Freundin von ihr ist Geschäftsführerin einer Filiale der Itaú-Bank dort und kann sie nach der Arbeit mit zurücknehmen, so dass sie rechtzeitig zur Schicht in der Pizzeria wieder da ist. Sie braucht das Geld, um nach Florianópolis ziehen und zur Uni gehen zu können, sieht sich aber gezwungen, den Plan aufs nächste Jahr zu verschieben. Ihre Mutter hat Diabetes, es geht ihr nicht gut, und sie braucht jemanden, der Pablo nachmittags von der Schule abholt und nach Hause bringt.
    Kann ich machen, klar.
    Ich hole ihn immer mit dem Fahrrad ab. Er fährt gern auf dem Gepäckträger oder auf der

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