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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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tastete nach der Gnippe, die er zurück an seinen Gürtel …
    Ihre Blicke trafen sich. Die Zeit hielt den Atem an. Sie starrten sich an, als sehe jeder den Teufel. Beide holten sie Luft, und mit diesem Luftholen drehte sich die Sonne wieder um die Erde, rastete auf ihrer Bahn ein und ließ die Sanduhren weiterrieseln.
    »De Kraih«, entfuhr es Rungholt. »Wie konnte ich nur …«
    »Rungholt«, es drang wie ein Hauch aus de Kraihs Mund. Dann zerschnitt sein schrilles Rufen jeden weiteren Gedanken. Mit einer eleganten Geste riss er einen kurzen Einhänder aus der Scheide. Gefassten Schrittes kam er auf Rungholt zu, der die Gnippe zückte, aufklappen ließ und so in der Pranke drehte, dass er werfen konnte.
    Auf seinen Lippen zeichnete sich ein verzweifeltes Lächeln ab. Seine Hand schwitzte.
    »Rungholt, Rungholt. Doch nicht etwa alleine hier. Wie oft wollt Ihr mit einem einzigen Messer werfen?«
    Kaum hatte er es ausgesprochen, lösten sich hinter ihm weitere Schatten aus dem leuchtenden Türeck.
    Es waren vier Männer, wahrscheinlich die Kerle, von denen Marek …
    Marek?
    Rungholt warf einen Seitenblick zur Hütte. Sie war noch immer verschlossen, der Kapitän fort. Als er de Kraih erneut fixierte, erkannte er den Böttcher Meenkens und Poling unter den Männern. Die Gruppe fächerte sich hinter de Kraih auf, und Rungholt sah sofort, dass sie alle bewaffnet waren. De Kraih ließ das Schwert durch die Luft fahren, als wolle er sich aufwärmen. »Alle auf einen Streich? So ähnlich hab ich es bei Mornewech versucht. Die waren aber nicht bewaffnet.«
    Die Männer kamen im Halbkreis auf Rungholt zu, ließen jedoch Platz in ihrer Mitte. Rungholt konnte sich denken, für wen. Er wich vor der Übermacht zurück, ging langsam rückwärts durchs Gras, über niedergetrampelte Stellen und durch Pfützen, und spürte unter seinen Sohlen mit einem Mal die Planken des Stegs.
    In diesem Moment schlossen vier Büttel zu den Handwerkern auf. Sie balancierten zwischen sich auf langen Stäben einen schwarzen Kasten. Einen Lidschlag lang meinte Rungholt, sie trügen einen Sarg.
    »Ligawyi!«, zerriss der Ruf die Stille über dem See. Schnatternd stob der Entenschwarm auf. Es klang beinahe fröhlich, wie er mit gebrochener Stimme versuchte, laut schmetternd Rungholts zweiten Namen zu rufen, so als begrüßte er einen lang vermissten Freund. »Liiigaaawwwyi!«
    D’ Alighieri rieb sich die blauen Hände und lächelte, lächelte von seiner Sänfte herüber.

49
    Rungholt wich zurück. Die schwimmenden Holzbalken schwankten. Ihm wurde schlecht, und er spürte, wie sein Herz zu flattern begann.
    Sieh nicht nach unten.
    »Wo wollt Ihr denn hin, Rungholt?«, zerriss d’ Alighieris Stimme das Plätschern des Wassers und das Knarzen des Stegs.
    Bei dem Gedanken, auf Wasser zu laufen, blieb er wie angewurzelt stehen. Bebend fixierte Rungholt den Florenzer, ließ seinen Blick über den Halbkreis von Männern schweifen, die zu allem bereit schienen, und betete, das Schwanken möge sich beruhigen.
    »Wollt Ihr in den See springen? … Da unten, Rungholt, da unten liegt ein ganzes Dorf . Scheiße, kommt Euch das bekannt vor… Rungholt …« Er sprach das Wort genüsslich aus, als hätte er selbst die prächtigen Gassen, den sonnigen Hafen, den pulsierenden Markt von Rungholts Heimat gesehen. Als hätte er einmal in der Edormsharde gestanden, und als hätte …
    »Ihr kennt mein Rungholt nicht. Und Ihr kennt mich nicht, d’ Alighieri«, rief er zurück. »Du hast niemals die Luft dieser glücklichen Stadt geatmet.«
    »Scheiße auch. Und wenn schon! Eine Welle, ein kleines Unwetter, und es ist fort. Vernichtet für immer. Grote Mandränke und Goldene Stadt, ich bitte Euch! Seht Euch um, Rungholt.« Sein Gichtfinger hob sich zitternd und wies auf den See hinaus, dessen Wasser durch die auftreffenden Regentropfen zu brodeln schien. »Genauso ist es den Víkingrn ergangen. Den stolzen Nordmännern hier am See.« Der Florenzer fuhr sich über den glatzigen Schädel, auf dem der Regen tanzte. »Bauten ihr Dorf, dann kam die Flut.«
    »Ich denke, Ihr wollt den Hort. Warum habt Ihr den Schädel nicht von mir geholt?« Deutlich spürte Rungholt das Wasser unter den Bohlen, aber er zwang sich einen weiteren Schritt zurück.
    D’ Alighieri schlug die Kapuze seiner schweren Houppelande über den Kopf und setzte sich aufrecht hin. »In der Tat ärgerlich, dass Gryps und sein Weib ihn sich gegriffen haben … Porca vacca. Wir wussten nicht, wie der Schädel

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