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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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in den Himmel werden würde. Sein persönlicher Gang in den Tod.
    Es gibt solche Menschen. Sie sind vom Leben müde, Rungholt. Bist du vom Leben müde?
    Dieser Schädel … Er führt dich zu deinem Grab, Rungholt.
    »Er hat Recht«, versuchte Marek Sinje zu beschwichtigen. »Wir wissen nicht, wie viele hier sind. Bei den Scheunen waren es mindestens sechs. Und einer hatte eine Armbrust. Wer weiß, mein ich, wer hier noch ist.«
    Sie funkelte die Männer an. Eine Katze, dachte Rungholt. Eine Katze, die Mäuse fangen will und von zwei dummen Kötern in die Enge getrieben wurde. Dass sie am liebsten gefaucht und sie verflucht hätte, war ihr anzusehen.
    »Nein, ich …«, begann sie, doch Rungholt sagte: »Sinje, wir brauchen dich. Lebend. Wer soll uns sonst zusammennähen, wer die Kräuter und Salben bereiten? Wenn du stirbst … Wiesberg lass ich nicht an meine Eingeweide.«
    Sie strich ihre rote Mähne nach hinten, verlor für einen Augenblick das Katzenhafte, sah eher wie ein bockiges kleines Mädchen drein.
    Sie nickte. »Holt die Kinder. Vergesst den Schatz, verstanden? Wenn ihr nicht wieder hier seid, bevor die Sonne hinter der Eiche dort drüben steht, reite ich zurück und hole Kerkring her. Verstanden?«
    Einträchtig nickten die beiden, dann zog Rungholt seine Gnippe. Er wollte die Klinge an seinem Umhang abwischen, aber nachdem er mit dem Metall über den Stoff fuhr, war sie dreckiger als zuvor.
    Geduckt näherten sie sich den Gebäuden. Den Hütten am See. Den Scheunen am See … Scheune … Daugava.
    Rungholt musste blinzeln. Wir sind nicht an der Orge, wir sind nicht nahe Riga, schalt er sich. Damals hatte er auch ein Messer in Händen gehalten, doch damals, vor mehr als fünfundzwanzig Jahren, hatte er seine Geliebte ermordet. Er hatte sie abgestochen wie ein Stück Vieh und in den See gestoßen. Unter das Eis.
    Diesmal sollte niemand im See sterben. Diesmal war Sommer, und er würde die Übermacht töten, und kein Kind würde sterben. Nicht eines.
    Ich bringe euch heim.
    Seine Pranke zitterte, als er das Klappmesser fester griff und die erste Hütte anvisierte. Sie alle maßen kaum zwei auf zwei Klafter. Regennass schimmerndes Pech. Wieder sah Rungholt einen Schwarm Vögel, Enten diesmal, aber er hörte ihr Schnattern nicht. Zu laut rauschte das Blut in seinen Ohren. Seine Wangen waren heiß, und er meinte, jeden Kiesel unter seinen zerfledderten Schnabelschuhen zu spüren. Stumm gab Rungholt seinem Kapitän ein Zeichen, hintenherum um die Hütte zu gehen.
    Die Hütte hatte keine Fenster. Lediglich eine schmale Tür, die mit einer Kette gesichert war. Sie baumelte herab, das Schloss war entfernt worden.
    Armbruster? Wenn, würde er sie niemals so schnell spannen können. Schwertträger? Sie wussten nicht, dass er kam. Die Hütte war zu eng, um ordentlich mit einem Schwert zu kämpfen.
    Rungholt fasste sich ein Herz und riss die Tür mit einem Ruck auf.
    Leer.
    Ein Strohlager. Vom Feuer verrußte Decke, Lumpen in der Ecke, schimmeliger Brei in einer Holzschale und …
    »Verdammte Handwerker. Ich schlage euch die Köpfe ab«, raunte Rungholt mit Blick auf das Metall, das zwischen dem Stroh zu sehen war. Riefen und Beulen im Eisen, von all den Schlägen mit Steinen und dem Kratzen von Fingernägeln. Ketten mit breiten Schnappringen. Zum Fesseln von Füßen gerade recht. Das letzte Mal hatte er solche Fußketten in der Fronerei gesehen, als Daniel eingesperrt gewesen war …
    Kinder.
    Marek tauchte hinter ihm im weißen Rechteck der Tür auf, und Rungholt bedeutete ihm stumm: Niemand da. Zu spät.
    Geduckt eilten sie weiter, eilten durch eine Ansammlung von Fichten und hielten auf drei der Hütten zu, die im Halbkreis angeordnet waren und wohl den Mittelpunkt der Lagerstatt darstellten.
    Sie visierten die erste Hütte an, drückten sich an ihre Seite und schoben sich langsam zum See hin, dorthin, wo sie die Tür vermuteten.
    Lautlos tasteten sie sich am Pechholz weiter vor, wollten um die Ecke und in die Hütte, als … Rungholt und Marek blieben wie angewurzelt stehen und starrten auf den See.
    »Der Krake«, entfuhr es Marek.
    Mit einem einzigen Blick verstand Rungholt, was Marek an dem … Wesen … so unheimlich gefunden hatte. Es war monströs. Ein schwarzes Ungetüm am Strick. Es hing in der Luft, undeutlich im Nebel, schaukelte es kaum merklich über dem See. Das riesige Fass als Körper und Kopf, darunter die acht schlanken Fässer. Alle an armdicken Tauen befestigt, von Hilfsseilen unter den

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