Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
Vom Netzwerk:
an, um ihn vom Pferd zu reißen.
    »Marek!«, rief Rungholt. So gut das in seiner hilflosen Lage ging, deutete er nach oben, und der Kapitän verstand sofort. Er ließ seinen Braunen zurückschnellen und zu Rungholt drehen. »Halt dich fest!«, schrie er Rungholt noch zu, dann klatschte seine Hand auf den Hintern von Rungholts Rappen.
    Wann hatte Rungholt das letzte Mal mit Gott gesprochen? Ein Gebet zu ihm geschickt? Er wusste es nicht. Doch nun rasten die flehenden Worte durch seine Gedanken, während er sich verbissen an die Gurte des Sattels klammerte. Mehr Kraft, durchhalten, nicht abrutschen. Bitte!
    Vorbeihuschende Giebel, schräge Staffeln, der Mond im Blitzlicht. Der Schnitt in der Hand brannte, heiß quoll wieder Blut hervor und ließ die Lederriemen allmählich aus seinen Fingern gleiten. Der Regen von allen Seiten und ein Schmerz im Rücken. Gott hörte ihn nicht. Der Schmerz gewann und raubte ihm die Besinnung.
    Rungholt kam erst am Hafen wieder zu sich, als sich Sinje zu ihm herabbeugte und ihm sanft den Fuß aus dem Bügel hob.
    »Noch mal gut gegangen«, sagte sie und lächelte ihn an.
    Er konnte nicht sprechen. Seine Kehle war zu trocken. Ein Bier, dachte er. Ein Bier, und dann sterbe ich. Fehlt nur noch, dass es Fische regnet.
    Erschöpft fiel er auf die Holzbohlen.

48
    Die drei banden ihre Kaltblüter weitab des aufgeweichten Pfades an zwei Fichten. In der Senke, verborgen hinter Unterholz, würde niemand sie sehen.
    Die Pferde starrten vor Dreck. Der Ritt an den See, gewöhnlich eine Reise von zwei Stunden, hatte wegen der aufgeweichten Wege und Pfade bis zur Mittagsstunde gedauert.
    Der Regen hatte sich inzwischen zu feiner Gischt zerstäubt und sprühte aus allen Himmelsrichtungen heran. War die Sonne aufgegangen? Sie blieb versteckt, aber zumindest glomm der Himmel in seinem gewohnten Musgrau. Eine Gruppe Graugänse zog schnatternd über ihre Köpfe hinweg. Frühnebel lag zwischen den Bäumen und über dem Hemmelsdorfer See, der Rungholt wie ein grenzenloses Meer vorkam. Lübeck hätte problemlos viermal in ihn hineingepasst. Einige Bauern behaupteten, er sei so tief, dass er am Grund koche, weil er bis in die Hölle reiche. Das tiefste Loch der Welt. Rungholt bezweifelte es nicht, so tückisch ruhig und nach Fisch und Seelen stinkend, wie dieser graue Spiegel dalag. Der See ließ ihn frösteln, und die Vorstellung, die Kinder müssten zu seinem Grund hinabtauchen, drehte ihm den Magen um.
    Er ließ das Schilf zurückgleiten und wandte sich zu seinen zwei Mitstreitern um. »Wir müssen noch weiter. Vierhundert, fünfhundert Klafter.« Er zeigte das Ufer Richtung Westen entlang. »Da rüber. Ich glaube, da brennt ein Feuer.«
    Das Erste, was Rungholt wahrnahm, als sie sich durch die Uferböschung heranschlichen, waren schwarze Klötze in den weißen Nebelwrasen. Wie stumme Runensteine lagen diese übergroßen Würfel am Ufer.
    Erst als sie sich weiter näherten, der Nebel ein wenig aufriss und er ein Gefühl für die Entfernung bekam, wurde ihm bewusst, dass es schlichte Hütten waren, nicht größer als die der Töverschen. Fünf zählte er, und jede von ihnen war aus Holz gefertigt und mit Pech bestrichen worden, sodass der Regen ihnen nicht viel anhaben konnte. Er meinte Stimmen zu vernehmen, das Weinen von Kindern, war sich aber nicht sicher.
    Es erweckt den Anschein eines kleinen Dorfs, dachte er und wies Marek und Sinje an, leise zu sein.
    Sie lüpfte seinen Umhang und zog den Verband zurecht. Durch die Schleiferei die Engelsgrube hinunter war der Stoff dünn gescheuert und von Blut besudelt. Die Wunde war mit Eiter zugesetzt. Längst, wahrscheinlich seit Tagen, war sie wieder offen.
    »Wir holen die Kinder«, meinte Sinje, »und dann brenn ich sie noch einmal aus.«
    »Nein«, entgegnete Rungholt, meinte aber nicht das Ausbrennen.
    Marek sprach es aus. Während der Kapitän sein Schwert zog, befahl er Sinje, sich hinter zwei Findlingen zu verbergen. Ab hier würde er allein mit Rungholt weitergehen.
    »Marek, ich bin nicht stundenlang durch den Matsch geritten, um hier untätig …«
    Rungholt fuhr ihr über den Mund: »Du bleibst! Es war schon Irrsinn, ein Weibsstück mit auf den Friedhof zu nehmen.« Sie wollte etwas Schnippisches erwidern, aber Rungholts entschlossener Blick ließ sie innehalten. Es war ihm todernst. Nicht aus einer Laune heraus hatte er sich vor Kerkring im Badhaus erniedrigt, sondern weil ihm vor zwei Tagen schon bewusst geworden war, dass dies ein Ritt geradewegs

Weitere Kostenlose Bücher