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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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Leinentuch. Fasziniert blieb er stehen, bückte sich zu dem Stoff und sah es sich genauer an. Da war noch eine zweite Fratze zu erahnen. Sie hatte geschwollene Augen, entblößte ihre Zähne. Der Teufel, dachte Rungholt. Die Töversche hat dich verhext mit ihrer Zauberkunst. Sie hat dich und den Teufel gemalt. Woher kennt sie dich?
    Da! Plötzlich wurde das Quieken zu einem Säuglingsschrei. Er hörte es genau. Ein ohrenbetäubendes Todeskreischen, als steche diese Töversche einem Säugling ins Herz und … Das ist nur eine Katze, ermahnte sich Rungholt, nur eine Katze. Er richtete sich auf und hob den Kienspan. »He! Jemand da?«
    Ein jähes Knacken. Oben. Vom Gebälk. Er fuhr herum, sah hinauf. Augen. Da starrten Augen durch den Rauch und … Ein Vogel? Ein Uhu sicher. Die Silhouette war schwer auszumachen, und die Augen hatten sich sofort abgewandt. Das Dach wurde von drei toten Ästen der Eiche getragen. Ein Kuhfell hing herab. Die Augen waren in seinem Schatten verschwunden.
    Schritte. Ein Huschen durch Pfützen. Draußen? Hier drin? Nackte Füße tapsten durch Wasser und Matsch. Hinter ihm!
    Herumfahren. Nichts. Ein Windspiel aus Federn. Sanftes Klimpern, das ewige Plätschern. Er zückte sein Schwert. Zu schwer lag es in seiner Hand. Rungholt zwang sich zur Ruhe, wischte sich den Schweiß von der Stirn, bemerkte, dass er zitterte. Der Rauch schnürte ihm den Atem ab. Er glaubte, keine Luft mehr zu bekommen und unter einer schweren Decke in Swonekens Badhaus beim Dampf zu sitzen. »Was ist los?«, hörte er sich flüstern. »Was ist los?« Er nestelte an seinem Kragen, legte den Umhang ab. Er brauchte Luft. Nur Luft.
    Mit einem Mal regnete es in der Hütte. Er konnte die Tropfen im Schein des Kienspans sehen. Erst fielen die Tropfen, dann stoben sie auseinander, wurden heller.
    Der Schnee trägt mich fort.
    Luft.
    Der Schnee …
    Was ist hier los?
    Setz dich.
    Setz dich hin. Ruh aus. Es ist alles zu viel. Such dir dein Plätzchen und tu nichts. Verschnaufe, Rungholt.
    Setz dich.
    Der Schnee war nun hellweiß. Er strahlte, und die Flocken trieben als leuchtende Punkte hin und her.
    Atme. Hole Luft und setz dich. Setz dich da in den Schnee. Setz dich.
    Er lehnte seinen Rücken an die Scheune, sog die eiskalte Luft ein und sah seinem gefrorenen Atem zu. Dann blickte er auf den See hinaus. Auf diesen weißen Eisspiegel hinter den weißgeschneiten Toten.
    Der Schweiß troff seinen Hals entlang, tropfte auf seinen Bauch.
    Luft. Atme.
    Er konnte seinen Körper nicht mehr spüren, sah hinab auf seine Beine, die abgeknickt waren. Nein. Die er nach vorne ausgestreckt hatte und die nun mit Schnee bedeckt waren. Langsam wurde er zugeschneit. Er hob die Hand und hielt sie sich vors Gesicht.
    Da war ein Dolch. Er war voll Blut. Er fühlte sich schwerer an, als er hätte sein dürfen.
    Vergossenes Blut trocknet nie.
    Rungholt blickte auf den See, und es war still um ihn. Er spürte einzig das Holz der Scheune in seinem Rücken.
    Der See hinter der Scheune, die Scheune am Waldrand, der Waldrand an der Orge. Irena.
    Seine linke Hand streckte sich in den Schnee, nahm ihn auf. Er wollte ihn schmecken, bevor er die Augen schloss. Kaum hatte er seine Hand in den Mund gesteckt, fraß er Matsch. Das war Erde. Da waren Holzspäne, Knöchelchen, Mäusedreck. Das war …
    Schwarz.
    Dieser Schnee war schwarz.
    Der Rauch … Der zerbeulte Grapen. Sie hat etwas verbrannt. Der Rauch … Er ist giftig.
    Endlich drang der Gedanke zu ihm. Er spuckte aus, schüttelte sich. Für einen Lidschlag wusste Rungholt nicht, wieso er saß, wieso er sich, den Hintern im Matsch, an den Hackklotz gelehnt hatte. Der Kienspan lag erloschen neben ihm, er hatte ihn in den Dreck gedrückt.
    Da! Er wollte sich gerade aufrichten, als mit einem schrillen Schrei just die Augen über ihm erneut aufleuchteten.
    Sie blitzten ihn durch den Rauch hindurch an. Ein Schemen fiel durch den Qualm und näherte sich unmenschlich schnell. Oder unendlich langsam?
    Eine humpelnde Gestalt, dürre Finger, Strohhaar. Ehe Rungholt das Schwert heben konnte …
    Spritzte Staub in seine Augen. Das Brennen zog sich bis unter seine Stirn. Er schrie auf, wollte hochkommen, rutschte aber seitlich in den Matsch. Die Knochenfrau hatte ihm irgendein Pulver ins Gesicht geblasen.
    »Meine Augen! Du Hure«, schrie er und schmierte sich Dreck hinein, als er sie auswischen wollte.
    Die verschwommene Fratze vor ihm, schwarze Zähne, Klauenhände, die nach ihm tasteten. Nein, nach seinem

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