Flutgrab
unter dem schwarzen Himmel. Die drei Buden kamen ihm noch ärmlicher vor als die in der Effengrube. Der Wulffsgang endete schon nach zwanzig Klaftern an einem verfallenen Gatter für Gänse. Es war totenstill, niemand zu sehen. Rungholt horchte, aber selbst der Wind schwieg. Bloß das Gewittertrommeln hielt an.
Eine der Hütten war schief und stümperhaft an eine Eiche genagelt worden, deren mächtiger Stumpf gute anderthalb Klafter breit aus dem Wasser ragte. Zwischen den Brettern des Verschlags glomm Feuerschein.
Kein Zweifel. Genauso hatte Sinje die Behausung der Töverschen beschrieben.
Als er den Kiespfad betrat, der zu den Hütten führte, knirschten die Steinchen derart laut, dass er seine Schritte selbst durch das Gepladder des Regens hören konnte und seltsam bang innehielt und sich umsah: Die schwarzen Baracken im Wulffsgang standen windschief – die Fensterläden geschlossen, alle Türen verrammelt. Langsam trat Rungholt auf die Hütte der Knochenfrau zu. Obwohl er sich gut zuredete, ihm drohe keine Gefahr, konnte er den Blick nicht von den Ritzen nehmen, die zwischen den Bretten klafften. Das flackernde Licht des Lagerfeuers leckte daraus hervor. Er wagte es nicht, sich vorzubeugen und ein Auge an den Spalt zu pressen, um ins Innere zu spähen. Was, wenn jemand mit einer Klinge auf der anderen Seite stand?
Donner grollte. Im gleichen Augenblick erlosch das Licht im Inneren.
Zufall, sagte er sich. Und wenn sie mich bemerkt hat, hält sie mich für einen Mann, der Hilfe sucht. Rungholt ließ den Blick nicht von den nun schwarzen Spalten und Ritzen, huschte um die Hütte herum und klopfte. Die Tür brach beinahe aus den Angeln, so wurmstichig und morsch war sie. Deutlich roch er den Qualm eines frisch gelöschten Feuers und konnte den Geruch von erkaltender Asche, von verbrannten Misteln oder anderen Hexenkräutern wahrnehmen.
»Mach auf.« Er klopfte erneut. »Ich habe gutes Geld und brauche deinen Rat.«
Er kramte eine Witte aus seinem Beutel und hielt sie vor eine der Ritzen in der Tür.
»Siehst du. Gutes Geld.« Nichts. Vergeblich versuchte Rungholt, etwas im Innern zu erkennen.
Kein Schatten, der sich bewegte, kein Laut.
»Ich habe noch mehr. Ich brauche deine Hilfe.«
Einige Atemzüge lang wartete er auf Antwort, dann zog er die Tür mit einem Ruck auf. Der morsche Schließkeil gab sofort nach. »Ich habe Geld«, wiederholte er unsinnigerweise, als könnte er jetzt noch gute Absichten vortäuschen.
Im Innern war der Geruch des gelöschten Feuers schneidend. Der Rauch hing unter der Decke, verteilte sich wie zäher Honig zwischen den Latten und Ästen, aus denen das Dach gezimmert war. Bündel aus Giftkräutern und Felle von Ratten und Mäusen hingen an den Sparren.
»Ich will dir nichts Böses. Ich brauche eine Auskunft«, rief Rungholt in die Dunkelheit und zerteilte den Vorhang aus Kräutern. Einige waren so trocken, dass die Blüten wie Staub zu Boden rieselten. Ein Quieken drang durch das Plätschern des Regens. Rungholt konnte nicht ausmachen, was da für ein Tier auf ihn lauerte, denn es war einfach zu dunkel. Von einem Häufchen Kienspäne nahm sich Rungholt einen. »Ich weiß, dass du hier bist«, sagte er leise, aber bestimmt und fuhr mit dem Span durch die Rauchschwaden. Bei der Feuerstelle standen drei Tonschüsseln, in denen er undeutlich blanke Knochen erkennen konnte. Hasenknochen? Der Größe nach zu urteilen könnten es welche gewesen sein, aber es waren zu viele für ein einziges Tier. Hatte Sinje sie deswegen Knochenfrau genannt?
Er entfachte den Kienspan an der Glut der Feuerstelle und stieg über die Schalen hinweg. Verkrüppelte Ästchen, langen Gichtfingern gleich, lagen neben einem verbeulten Kessel. Sie waren geschält und mit Schriftzeichen versehen. In dem Grapen schimmerte ein ätzend riechendes Öl. Er hatte anscheinend noch vor kurzem über dem Feuer gehangen, denn Hitze schlug Rungholt entgegen, als er daran vorbeiging. Da zuckte ein weiterer Blitz und ließ Rungholts Gesicht in der Flüssigkeit aufflackern.
Erschrocken wich er zurück – erkannte sich kaum wieder.
Bleich, übernächtigt, getrieben. In seinem Blick kämpfte Angst mit Entschlossenheit.
Das war eine Fratze.
Das bin nicht ich. Wenn dieser Albtraum vorbei ist und ich mein Leben wiederhabe, setze ich mich an ein wohliges Feuer. Ich setze mich und tue nichts. Einfach nichts. Weit fort vom Meer.
Er hatte sich kaum abgewandt, als er abermals meinte, sich zu sehen. Diesmal mit Asche auf einem
Weitere Kostenlose Bücher