Flutgrab
Schwert.
Er rollte sich herum, keuchend gelang es ihm, die Waffe an der Klinge zu greifen. Er zog sie zu sich her, schnitt sich dabei die Hand auf. Mit einem Fauchen griff sich die Knochenfrau die Parierstange und zerrte. Rungholt ließ nicht los, packte noch stärker in die Klinge.
»Töversche, verdammte«, presste er hervor und schleuderte die Greisin mit dem Schwert zu Boden. Kaum hatte sie losgelassen, griff er die Waffe richtig. Er stemmte die Klinge vor sich in den Boden und zog seinen beleibten Körper daran hoch. Mit zwei Schritten war er bei der Greisin und zerrte sie auf die Beine. Sie wog nur wenig mehr als das Schwert. Ihre Brüste rutschten aus dem Surkot, verrunzelte, welke Birnen. Ihre Arme waren Knöchelchen, ihr Leib ein Gerippe, die Männerbeinlinge, die ihn bekleideten, verströmten einen widerlichen Gestank.
Sie starrte ihm in die Augen und schrie plötzlich los. So laut und schrill, dass ihm die Ohren klingelten. Sie schrie ihm ins Gesicht. Wehrte sich nicht gegen seinen Griff. Der Schrei der Katze, schoss es ihm durch den Kopf. Er wusste nicht warum, er hatte keine Ahnung. Auch nicht, warum sie ihn hatte töten wollen. Aber die Knochenfrau hörte nicht auf, schrie und schrie.
»Halt’s Maul, Hexe«, zischte er und schlug ihr mit der blutigen Hand ins Gesicht. »Halt dein Maul!«
Endlich verstummte sie, versuchte aber, ihn mit ihren staubverschmierten Händen zu kratzen.
»Ich will dir nichts tun! Ich will nur eine Auskunft! Halt still.«
Sein Kopf dröhnte. Wegen der Tränen, die machtlos gegen den brennenden Staub waren, konnte er kaum etwas sehen. Er unterschätzte die Kraft der Greisin, die trat, versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Er wusste sich nicht anders zu helfen, stieß sie zurück an den Hauklotz und setzte ihr die Schwertspitze an den Hals.
»Beruhige dich. Beruhige dich.« Zitternd wischte er sich die Augen aus. Sein Gesicht brannte, er hatte das Gefühl, einen aufgedunsenen Schweineball anstatt eines Kopfes auf den Schultern zu tragen. »Mein Gott. Was hast du mir gegeben?«, keuchte er und sah sich nach einem Schluck Wasser um. Ein böses Grinsen im Gesicht, rollte sie mit den Augen.
»Was du verdienst, was du verdienst«, krächzte sie und schlug gegen das Schwert. Rungholt gab nicht nach, presste es noch stärker an ihren Hals.
»Ich werde dir nichts tun, aber sag mir … « Er tastete nach dem Kinderschädel, rückte den Beutel an seinem Gürtel nach vorne und zog den Kopf heraus, ohne den Blick von ihr zu nehmen. »Sag mir, was das hier ist.« Für einen Augenblick war er nicht sicher, ob er ihr den Schädel einfach hinwerfen sollte, wegen des langen Schwerts konnte er ihn ihr nicht reichen. Behutsam ließ er den Schädel schließlich in ihren Schoß fallen. »Heb ihn auf. Lies. Ich weiß, dass du die Zeichen deuten kannst.«
Die Knochenfrau konnte ihren Kopf nicht bewegen, so stark drückte Rungholt ihr die Klinge in die Kehle, ihre langen Finger tasteten nach dem Kinderkopf, dann hob sie ihn vor ihr Gesicht.
Kaum hatte sie die Runen mit den Fingern abgefahren, lachte sie mit einem Mal, und Rungholt musste den Griff lockern, sonst hätte sich die Alte wohl aufgespießt. Ihre Miene verzog sich ins Groteske. Ihre schmalen Lippen verzerrten sich zu einem hämischen Grinsen, und sie rollte mit den Augen, sodass ständig bloß Weiß zu sehen war.
»Lass das! Was steht auf diesem Schädel?«
Die Knochenfrau begann abermals lauthals zu lachen. Die kehligen, halb geschluckten Gluckser wurden von den Hüttenschatten aufgesogen und vom Regenprasseln weggespült.
»Ich brenne deine Hütte nieder, ich steche dich ab und verfüttere dich an die Schweine. Du Hexe, du sagst mir jetzt, was die Zeichen sprechen!«
Endlich sah sie ihn an. Ihr Grinsen wurde breiter. »Bist du denn dafür bereit, Rungholt?«
»Rung…? Woher … Woher kennst du …?« Woher wusste sie seinen Namen? Nur mit Mühe gelang es ihm, sie mit seinen Blicken zu fixieren. Er hatte das Gefühl, als liefe Blut aus seinen Augen. »Ich bin bereit, da kannst du dein Gift drauf nehmen, Knochenfrau!«, zischte er und stieß mit dem Schwert ein wenig zu, sodass ihr Hals zu bluten begann. »Sag es. Sag es endlich.«
»Dieser Schädel … Er führt dich zu deinem Grab, Rungholt.«
»Was?«
Die Greisin verzog keine Miene, stattdessen wiederholte sie ernst: »Dein Grab, Rungholt. Du denkst, es ist ein Fluch. Du denkst, es sind böse Rituale am Werk. Aber dieser Schädel ist alt. Es ist keines der
Weitere Kostenlose Bücher