Flutgrab
griff das Rad fester, zog sich auf das glitschige Holz und bekam den Aufbau zu fassen. Die Zähne zusammenbeißen und ziehen, den ganzen Körper aus dem Wasser heraus und ein Bein neben das riesige Fass auf den Karren schwingen. Den Oberkörper hoch. Über die Kante der Ladefläche.
Nach Luft japsend rollte er sich auf den schmalen Streifen neben das Fass, da erreichte Poling das Rad. Noch sah er Marek nicht, weil er hinter dem Karren, Marek jedoch an der Seite lag. Schnell rappelte sich der Kapitän auf, griff die Kante des breiten Eisenreifens und fand Halt zwischen Tonnenreifen und den Seilen, mit denen das Fass festgezurrt war. Es gelang ihm, sich hochzuziehen und sich aufs Fass zu rollen.
Langsam robbte er nach vorne. Von hier oben hatte er einen guten Ausblick. Links von ihm ragten hinter dem Äußeren Holstentor drei Schuppen in den gewittrigen Himmel. Sie standen am Ende der Brücke und dienten als einfache Lager. Rechts, mittlerweile ein einziger See, Lüdjes Lastadie mit den Koggengerippen. Die meisten Schiffe warteten schon seit Monaten auf ihre Fertigstellung. Hatte die Blockade ihm geschadet, so hatte der Regen sein Geschäft endgültig zum Erliegen gebracht.
Marek sah sich um. Hinter ihm floss die Trave zum Meer, und Lübeck streckte seine sieben Türme in den dunklen Himmel. Er konnte sie im Regen bloß erahnen. Erste Wellen schwappten nun auf die Brücke, den Wal sah Marek nicht, dafür aber die beiden Soldaten, die über die Holstenbrücke zu den Flagellanten liefen. Die Büßer formierten sich neu, berieten, ob sie über die Brüstung ins Wasser sehen sollten.
Marek wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und verschnaufte kurz. Ein leichter Wind hatte eingesetzt und kühlte ihn ab, aber das war jetzt im Sommer nicht unangenehm. Nachdem er bis ganz nach vorne gerobbt war, sah er die Ochsen. Eines der Tiere lag blutend im Wasser. Es war gestürzt und vom Stirnjoch mitgeschleift worden. Gut, dachte er, dass das Rad mich wie einen Korken durchs Wasser getrieben hat. Der Ochse hatte in seinem Gespann weniger Glück gehabt. Er war im Begriff zu sterben. Das andere Tier stand zitternd und schnaufend an der Deichsel, als wartete es auf einen neuerlichen Ausbruch oder auf beruhigende Worte des Lenkers.
Auch falls alle Räder noch intakt waren und ein einziger Ochse überhaupt imstande war, den Wagen zu ziehen, würde es eine Zeit dauern, bis sie weiterfahren konnten. Irgendwie musste der Schiffbauer den Karren ein Stück zurücksetzen und am sterbenden Ochsen vorbeilenken. Marek stellte sich darauf ein, bis zum Abend auf dem Fass zu liegen.
Kerben. Eine Schnitzerei. Agnes hatte etwas in die Unterseite geritzt. Rungholt drehte das Brett im Lichtschein, erkannte mit einem Blick, dass er nur einen Teil der Zeichnung erwischt hatte, und riss hektisch das nächste Brett aus dem Alkoven, dann ein drittes und das vierte. Die Bretter unter dem Arm, lief er zur Leiter. Als er den Kopf hochriss, starrte ihn plötzlich ein Junge mit blutender Wange an. Michels. Der Knecht war im Begriff, Sandsäcke hinabzuwerfen, und wollte dann die Leiter hinunter und …
Die Leiter.
In Windeseile riss Rungholt sie fort.
»He! He! Wer bist du! He. Was soll das?«
Die Säcke landeten hinter Rungholt, der bereits kehrtgemacht hatte, und, die sperrige Leiter in der linken Hand, die Bretter unter dem rechten Arm, an Agnes’ Kammer vorbeieilte.
Unter den Rufen des Knechts hielt Rungholt auf eine weitere Tür zu, ließ die Leiter wie einen Rammbock dagegenkrachen. Die Tür sprang auf und gab den Blick auf eine Art Dornse frei. Ein Tisch, ein Stuhl und die Wände voller Pergamente.
Wo lang? Ein Fenster. Die Kammer hatte ein Fenster.
Es waren Zeichnungen von Fässern und Seilen. Im Laufen konnte Rungholt so etwas wie eine Explosion sehen. In einer Ecke des Raumes lagen geborstene Eisenreifen, gesplitterte Dauben. Ein Fass zerbarst in Stücke. Waren da Häuser? Sollte das die Andeutung eines Turms sein? Das Rathaus? Rungholt wusste es nicht. Er sah nur die Pergamente, die vollgekritzelt und mit Berechnungen übersät waren. Aus dem Augenwinkel meinte er, Männer auf dem großen Fass zu sehen, das der Pechwagen geladen hatte. Es ärgerte ihn maßlos, dass er die Zeichnung nicht mitnehmen konnte, aber ihm blieb keine Zeit. Der Knecht hatte bereits Meenkens alarmiert, und er konnte den Böttcher und seinen Gesellen die Treppe heraufstürzen hören.
Mit einem Knall flog der Fensterladen auf, und Rungholt stach mit der Leiter ins
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