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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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Freie. Die Straßenseite. Er ließ die Bretter fallen, packte die Leiter mit beiden Händen und ließ sie in die Esche krachen. Die Sperlinge stoben in einer dunklen Wolke auf und zogen protestierend in den Regen davon. Rungholt hatte keine Zeit, den Sitz der Leiter zu kontrollieren. Er rüttelte nur einmal, das musste reichen, dann griff er sich die Alkovenbretter und zog ächzend und nach Luft japsend seinen fetten Leib auf die wacklige Konstruktion. Beinahe wäre er im schmalen Fenster steckengeblieben, aber der Regen schmierte den Holzrahmen und ließ seine Kleider eng anliegen.
    Langsam begann er, Sprosse für Sprosse vorzukriechen.
    Mit einem Mal war er gänzlich draußen. Da unten war Meenkens’ Pferd. Bis zum Boden waren es gute zwei Klafter. Mindestens. Springen? Und wieder auf den Rücken fallen?
    Rungholt legte sich auf den Bauch, ließ die Bretter neben das Pferd in die Pfütze fallen und zog sich weiter auf die Leiter hinaus.
    Gott sei Dank war er barfuß, so fand er Halt und konnte sich gut abstoßen. Einen halben Klafter, fast einen ganzen, war er nun über der Hüxstraße. Genau auf halber Strecke zum Baum. Die Leiter bog sich gefährlich, schrammte am Ast entlang und kippelte. Erst jetzt begann seine Hand unter dem Verband zu pochen.
    Hinter ihm flog die Kammertür auf, und Rungholt dachte noch: Dummer Plan, du hättest einfach springen sollen. Da wurde die Leiter gepackt. Er riss den Kopf herum und sah den Knecht, wie er sich am Fenstersturz festhielt, aber zögerte, auf die Leiter zu klettern.
    »Worauf wartest du?«, brüllte Meenkens.
    Noch bevor der Geselle sich einen Ruck gab, schwang sich Rungholt über die Kante, er rollte sich einfach zur Seite, griff die Leiter und wollte sich irgendwie herablassen, doch er hatte nicht mit seinem Gewicht gerechnet. Kaum griff er im Fallen nach einer Sprosse, krachte die Leiter entzwei. Sie brach in der Mitte durch, und Rungholt, mit den Füßen nach unten hängend, stürzte den restlichen Klafter in die Tiefe.
    Er landete im Nass. Schmerzen durchzuckten seine Füße, dann traf ihn eines der Leiterstücke am Kopf. Er schrie auf, spürte Blut an seiner Schläfe und sah alles vernebelt. Einen Schreckensaugenblick lang dachte er, der Schnee kehre zurück, doch es blieb beim dumpfen Pochen. Er taumelte durch den Regen, ließ sich auf die Knie sinken und griff sich die Alkovenbretter. Als er sich stöhnend auf die Beine stemmte, sah er Gretekes entsetztes Gesicht in der Haustür. Meenkens’ Rufe hallten durch die Hüxstraße, wild fuchtelnd war er im Fenster erschienen, während der Geselle sicher schon wieder die Treppe in die Diele hinablief.
    Rungholt blieb kaum Zeit. Er klemmte sich die Bretter unter den Arm und lief, so schnell er barfuß konnte, zur Krähengasse und weiter in die Balauerfohr. Erst als er sicher war, in den engen Gassen um St. Aegidien oft genug abgebogen zu sein, drückte er sich hinter ein Regenfass und verschnaufte. Das Seitenstechen war so schmerzvoll, dass er keine Luft mehr bekam. Trotz der nassen Kleider und dem unablässigen Regen wusste er, seine Rückenwunde war wieder aufgeplatzt.
    Nach Luft ringend lehnte er sich an die Wand, die Alkovenbretter noch immer umklammert, wie einen Säugling an die Brust gepresst. Sein Blick glitt zum Wrasenhimmel, und kurioserweise dachte er in diesem Moment nicht an die verschollenen Kinder, nicht an Bomben und d’ Alighieri.
    Meine Schuhe und Trippen sind weg. Mein Surkot ist vollkommen aufgerissen von der Leiter. Oh Gott, Alheyd wird mich umbringen.

36
    Zwar kannte Marek die ganze Küste zwischen Dänemark und der Newabucht, aber das Umland von Lübeck war ihm wenig vertraut. Er glaubte, auch wenn er den Sonnenstand nur erahnen konnte, dass sie gar nicht weit entfernt vom aufgebrachten Konvoi waren. Sie waren erst nach Westen, dann nach Norden gefahren, hauptsächlich in den Norden. Sicherlich lag Schwartau nicht weit. Vielleicht waren sie auch bereits oberhalb davon.
    Marek schätzte, dass der Ochse bereits zerlegt, wenn nicht verspeist war. Poling hatte ihn einfach liegen gelassen, hatte zwei der Bohlen hinter die Vorderräder gedrückt und zurückgesetzt. Die Flagellanten waren längst wieder singend und sich peitschend an ihnen vorbeigezogen, als es dem Fahrer endlich gelang, den Karren mit nur einem Ochsen aus der Strömung und auf den Weg Richtung Crempelstorpe zu lenken.
    Die Sonne hatte Marek die ganze Fahrt über nicht gesehen, bloß den Hauch von Abendröte in einigen Wolken. Vor

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