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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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ihres Nachwuchses zu mir kämen:
Die Leistung Ihres Sohnes/​Ihrer Tochter ist zurückzuführen auf grobe Verstöße in Syntax und Lexik, welche zu Sinnentstellungen
     führen. Die Wortwahl ist der Aufgabenwahl nicht angemessen, bedingt durch dürftiges, undifferenziertes Vokabular, unklare
     Ausdrucksweise, stereotypen Satzbau, eine unangemessene Stilebene, fehlende Sprachökonomie und Turkizismen/​Arabizismen/​Russizismen/​Jugendsprachlizismen . Die adäquate und korrekte Lösung der Aufgaben ist selbst approximativ und assoziativ nicht gewährleistet. Vielmehr weist
     die Bewältigung der Aufgaben starke Formen von Dissoziation auf.
    Diese Floskeln würden eher Verwirrung stiften als meinen Gegenübern in irgendeiner Weise Auskunft über die Leistungen ihres
     Nachwuchses erteilen. Mit diesen Wendungen fuhr ich auch gegenüber Schülern nicht schlecht, sobald ich wegen Noten in Erklärungsnot
     geriet, denn in der Regel wagten die Jugendlichen nicht, nachzufragen, was die tragenden Erwägungen eigentlich bedeuteten.
     Und wenn schon die Schüler sich das nicht trauten, dann ihre Eltern erst recht nicht.
    Bis 18.30   Uhr tat sich aber erst einmal gar nichts. Weil ich das benötigte Geschichtslehrbuch für eine Stundenvorbereitung vergessen
     hatte und ich an die Lehrbücher hinter mir in den verschlossenen Schränken, für die nur unser momentan verreiste Fachbereichsleiter
     einen Schlüssel basaß, nicht herankam, brachte ich das Warten mit Zeitunglesen zu. Und danach damit, meinen |65| Blick wandern zu lassen. Die Tafel war gewischt, aber nicht feucht, und nicht in strengen Linien von oben nach unten, wie
     es Herr Schubert von uns verlangte, sondern in staubigen Zickzackbahnen. Man erkannte sogar noch das Stundenthema:
Napoleon
. Viel zu allgemein und zu wenig problemorientiert, um damit bei einem Unterrichtsbesuch bestehen zu können.
    18.35   Uhr: In der zweiten Sitzreihe links neben dem Fenster lag auf dem Tisch ein zusammengeknülltes Snickerspapier. 18.40   Uhr: An der rechten Wand bemerkte ich die Zeichnung einer mittelalterlichen Stadt, Stoff der siebten Klasse. 18.44   Uhr: Die Zeichnung war von Karol Nowak. Der war jetzt bei mir in der Neunten. 18.45: Immer noch nichts. Hatte ich vielleicht
     Glück? Waren die Leistungen ihrer Sprösslinge den Erwachsenen vielleicht egal? 18.50   Uhr: Die Tür ging auf. Eine Frau betrat den Raum, klein, kurze Haare, schlank.
    «Guten Abend! Sind Sie Herr Serin?»
    «Ja», erwiderte ich und warf angespannt einen Blick auf meinen Spickzettel mit den tragenden Erwägungen. Zielsicher kam die
     Besucherin auf mich zu. Ich schob schnell meine Zeitung über die Notizen und beides noch schneller über die Penisillustration,
     die ich in diesem Moment auf meiner Tischplatte entdeckte. Die Frau lächelte. Komisch! Wieso tat sie das?
    «Ich bin Frau Reichel, die Mutter von Fabian.»
    Ihren kleinen Fabian hatte sie im Schlepptau. Oder eher im Gepäck. Bei aller äußerlichen Ähnlichkeit kontrastierte die Dynamik
     ihrer Bewegung frappierend mit der Kraftlosigkeit, in der ich ihren Sohn immer erlebte und mit der er sich hinter seiner Mutter
     herschleppte. Doch mich beschäftigte vor allem folgende Frage: Wieso erschien die Mutter von Fabian zum Elternsprechtag? Ihr
     Sohn hatte im Test die beste Note erhalten, eine Eins. Kognitiv war er seinen Mitschülern deutlich voraus. Seine hohe Intelligenz
     und seine verlangsamte körperliche Entwicklung – er war nicht nur |66| der kleinste Schüler, sondern sah obendrein am jüngsten aus – drängten ihn im Klassenverband jedoch in eine Außenseiterposition,
     aus der heraus er es schwer hatte, sich zu behaupten oder auch nur im Unterricht Gehör zu verschaffen. Allein schriftlich
     konnte er sein Potenzial unter Beweis stellen.
    Und das hatte er im Test getan. Doch für eine sehr gute Leistung hatte ich mir nun keine tragenden Erwägungen notiert. Jetzt
     saß ich wohl in der Klemme. Frau Reichel lächelte wieder, als sie mir gegenüber Platz nahm. Wieso tat sie das?
    «Wieso lächeln Sie?», entfuhr es mir.
    Zum Glück vernuschelte ich meine Frage, sodass sie von Frau Reichel überhört wurde.«Herr Serin, ich bin die Elternsprecherin.»
     Aus ihren wachen Augen blickte sie mich bestimmt an, während Fabian schlaff auf seinem Stuhl hing und nervös auf seine Turnschuhe
     starrte. Oh nein, auch das noch! Sie war keine gewöhnliche Mutter, sondern Elternsprecherin. Wahrscheinlich hatte sie schon
     unzählige Kollegen zur

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