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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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Schnecke gemacht. «Herr Serin, ich wollte Ihnen nur sagen, dass mein Sohn sehr gerne bei Ihnen Unterricht
     hat. Er mag Sie.» Fabian lächelte verlegen seine Sneakers an. «Allerdings ist er der Einzige aus der Klasse. Alle anderen
     Schüler hassen Sie. Endlich mal ein Lehrer, bei dem die Kinder merken, dass es ohne Leistung nicht geht. Lassen Sie sich von
     dieser Saubande nicht unterkriegen! Greifen Sie weiter hart durch!» Mit einem festen Händedruck verabschiedete sie sich von
     mir.
    Sollte ich mich über Frau Reichels Worte nun freuen oder nicht? Schwer zu sagen. Ich grübelte noch über diese Frage, als Fabian
     und seine Mutter längst den Raum verlassen hatten und sich die Tür erneut öffnete. Ein älterer Herr in schwarzen Slippern,
     schwarzer Stoffhose, weißem Hemd, grauem Jackett und mit Halbglatze betrat den Raum: «Guten Abend. Ich bin der Vater von Tancan
     Ates.   … Wie ist mein Sohn in Geschichte?   … Er sagt, er hat noch keine Zensuren.»
    |67| Tancan hatte im Test eine Sechs. Und bei ihm hatte es meinem Eindruck nach nicht primär am fehlenden Fleiß gelegen, sondern
     an den unzureichenden kognitiven Voraussetzungen.
    «Doch! Wir haben einen Test geschrieben. Und da hat Tancan leider ziemlich schlecht abgeschnitten.»
    «Warum? Letztes Jahr war er zwei.»
    Wieso nur war Frau Wenzel, die vorherige Geschichtslehrerin der Klasse, zu feige gewesen, Tancan entsprechend seiner Leistung
     zu benoten? Sie hatte sich wohl von seiner höflichen Art blenden lassen. Und nun durfte ich das ausbaden. Jedenfalls musste
     ich rasch etwas nachschieben, bevor Herr Ates sich zu sehr aufregte oder gar nachhakte: «Die Leistung Ihres Sohnes ist zurückzuführen
     auf grobe Verstöße in Syntax und Lexik, welche zu Sinnentstellungen führen. Die Wortwahl ist der Aufgabenwahl nicht angemessen,
     bedingt durch dürftiges, undifferenziertes Vokabular, unklare Ausdrucksweise, stereotypen Satzbau, eine unangemessene Stilebene,
     fehlende Sprachökonomie und Turkizismen. Die adäquate und korrekte Lösung der Aufgaben ist selbst approximativ und assoziativ
     nicht gewährleistet. Vielmehr weist die Bewältigung der Aufgaben starke Formen von Dissoziation auf.»
    Herr Ates blickte mich an, als habe ich Türkisch gesprochen. Er hatte nichts verstanden. Genau das hatte ich beabsichtigt.
     Wenn er nicht verstand, was ich meinte, konnte er mir auch nicht böse sein. «Herr Serin, reden Sie Deutsch!», forderte er
     mich auf.
    «Wollen Sie es wirklich wissen?»
    «Die Zensuren von Tancan sind wichtig. Sagen Sie!»
    «Na gut! Wie Sie wollen. Es tut mir leid   … äh   … es Ihnen zu sagen, sagen zu müssen, aber   … äh   …», druckste ich und wich dabei seinem Blick aus: «Aber Tancan scheint mir überfordert zu sein   … äh   … Das Gymnasium ist wohl eigentlich nichts für ihn   … äh   … Ich kann Ihnen aber eine gute Hauptschule empfehlen.»
    Herr Ates war jedoch an keiner Hauptschulempfehlung interessiert, |68| worüber ich sogar erleichtert war, denn ich hätte ihm keine geben können. Stattdessen erhob er sich verärgert – ob über mich
     oder Tancan, vermochte ich nicht einzuschätzen – und bewegte sich Richtung Ausgang. Dabei schimpfte er: «Tancan geht nicht
     auf Hauptschule! Entweder er geht auf Gymnasium oder zurück in Türkei!»
    Das hatte ich nun auch wieder nicht beabsichtigt. Geistesgegenwärtig rief ich ihm nach: «Es muss ja keine Hauptschule sein.
     Ich kann Ihnen auch eine Gesamtschule empfehlen.» Aber da war Herr Ates schon aus der Tür. Elternsprechtage verheißen wirklich
     nichts Gutes.
    Lehrerzimmer, Mittwoch, Freistunde
    Frau Baum: Brauchen Sie noch lange?
    Ich: Nur drei Folien!
    Frau Baum: Lassen Sie mich bitte trotzdem vor! Ich muss wieder zurück in meinen Unterricht. Ist ganz schnell kopiert.

|69| 10
Und dann kam Littleton
    Vor meinem ersten Hospitationspraktikum, da war ich noch an der Uni, hatte ich immer den gleichen Traum: Meine Kommilitonin
     Nadine und ich öffneten die Tür zur 8a, unserem ersten Beobachtungsgegenstand. Seit unserer Ankunft in der Schule wusste ich,
     dass selbst in dieser Jahrgangsstufe die Mädchen größer waren als ich mit meinen ein Meter neunundsechzig. Und wenn nicht,
     dann überragten sie mich dank ihrer plateausohligen Buffalos. Ich hatte das ungute Gefühl, dass uns die Jugendlichen nicht
     wohlgesonnen waren. Darum überließ ich Nadine den Vortritt. Meine böse Vorahnung sollte mich nicht trügen. Denn nach Betreten
     des

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