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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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alles.»
    «Ich hab ja auch studiert.»
    «Werden wir auch mal studieren?»
    «Wahrscheinlich nicht. Da hättet ihr nicht auf diese Schule gehen dürfen. Außerdem seid ihr Ausländer und eure Eltern haben
     kein Geld. Das sind alles Parameter, die gegen eine Bildungskarriere sprechen.» Mir war es wichtig, ihnen falsche Illusionen
     zu nehmen. Sie dankten mir meine Aufrichtigkeit, indem sie auch mir gegenüber immer ehrlich waren. So prophezeiten sie mir
     etwa sehr früh, dass ich mit meiner lockeren Art bei Schulleiter Stern einen schweren Stand haben würde.
    Bildungsbürgern gegenüber hätte ich mein vollkommenes Französisch sicherlich nicht so leicht nachweisen können. Sie hätten
     sich nicht mit
la neige
und
adieu
zufriedengegeben. Denen hätte ich vermutlich folgende Wendung übersetzen müssen: «Stahlblaue Stretchjeansstrümpfe strecken
     staubige Stretchjeans, staubige Stretchjeans strecken stahlblaue Stretchjeansstrümpfe in dunklem Stützbeton.»
    Im Prinzip reichte selbst Halbwissen, um durch meine Geschichtsstunden, zumindest in der Mittelstufe, zu kommen. Oftmals konzipierte
     ich aus Zeitgründen die Stunde erst, nachdem ich die Schwelle zum Klassenraum übertreten hatte. Damit war |77| ich allerdings keineswegs auf alle Eventualitäten vorbereitet, so wie kurz vor den Herbstferien:
Mal überlegen, was haben wir heute für ein Thema? Ach ja, die Revolution von 48.   Gut!
    «Also, heute geht es um die Revolution von 48.   Weiß einer, wann die war?» Leider wusste das kein Schüler, und ich hatte gerade ein Blackout. «Nein? Gut, dann sage ich es
     euch, wann die Revolution war. Sie war im Jahr 48.»
    «1948?», wollte einer wissen.
    «Gute Frage, die sich allerdings nicht eindeutig beantworten lässt. Damals gab es noch keine Jahrhunderte. Deswegen reicht
     auf die Frage: ‹Wann war die Revolution von 48?› auch die Antwort: ‹Sie war 48.› Das Gleiche gilt übrigens für den Dreißigjährigen
     Krieg. Ihr müsst nicht wissen, wann der war, sondern nur, wie lange der dauerte.»
    Ich profitierte davon, dass die Schüler jeden Ehrgeiz vermissen ließen, eigenständig etwas zu recherchieren, um meine zum
     Teil hanebüchenen Aussagen zu verifizieren.
    Dennoch gerate auch ich gelegentlich in heikle Situationen. Beispielsweise hatten wir gerade den Ersten Weltkrieg durchgenommen.
     Ich behauptete, der Waffenstillstand sei in Berlin geschlossen worden, dabei unterzeichnete man diesen tatsächlich im nordfranzösischen
     Compiègne in einem Eisenbahnwaggon. Karol, der dies zufällig beim Kolorieren seines Geschichtsbuchs bemerkte, machte mich
     darauf aufmerksam. Zum Glück reagierte ich jedoch souverän und vermied so einen Gesichtsverlust: «Okay, kein Mensch ist perfekt.
     Jeder macht Fehler. Auch die Autoren eures Geschichtsbuchs. Reißt bitte die Seite aus eurem Buch raus, damit ihr nicht was
     Falsches lernt!» Die Schüler kamen dieser Aufforderung anstandslos nach. Was war schon die Autorität eines Lehrbuchs gegen
     meine.
    Ich freue mich schon auf den Zweiten Weltkrieg. Da werde ich endlich mit ein paar Legenden aufräumen.

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Rumble in the jungle
    Scheiße! Das hatte mir gerade noch gefehlt. Es war klar, dass ich hier wieder mal einschreiten musste. Vor mir spielten fünf
     Schüler auf dem unebenen Beton mit einer vollen Ein-Liter-Colaflasche Fußball. Zu ihrem Spiel gehörten auch hohe Pässe und
     Flanken. Jemand anderes konnte die Pulle an den Kopf bekommen. Oder einer der Spieler im rissigen Asphalt hängen bleiben und
     stürzen.
    Leider war ich der aufsichtführende Lehrer auf dem Hof 2 des Werner-Heisenberg-Gymnasiums, der sich zwischen Turnhalle und
     Gebäudetrakt 2 befand. Kein Lehrer mochte Aufsichten, am wenigsten auf dem Hof. Darum wurde dieser Ort vorrangig an Referendare
     vergeben, die sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Schule befanden, da sie von deren Leitung bewertet wurden. Referendare
     konnten es sich also nicht leisten, gegen die Zuteilung aufzumucken.
    Bei mir auf dem Hof war immer etwas los. Denn alle Lehrer, die in den Pausen im Gebäude eingesetzt waren, hatten untereinander
     vereinbart, sämtliche Schüler der Schule in meinen Zuständigkeitsbereich zu schicken, um selbst Ruhe zu haben. Die Lehrer
     drinnen bewachten sich nur gegenseitig und drehten die meiste Zeit Däumchen. Hielt sich doch mal ein Schüler noch nach dem
     Pausenklingeln dort auf, wurde er nach draußen verwiesen mit dem Hinweis: «Geh raus zu Herrn Serin! Da kannste machen,

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