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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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schnell. Der sportliche, großgewachsene, vorlaute, aufbrausende, ständig störende Halbstarke mit der Kurzhaarfrisur
     schrumpfte zusehends zu einem verunsicherten Jungen zusammen, der immer tiefer in seinem Stuhl versank und bald nicht mal
     mehr den Mut aufbrachte, uns drei mit seinem trotzig genervten Blick anzuschauen. Mit dem hatte er mich in den wenigen Wochen,
     seitdem ich ihn unterrichtete, oft bedacht, und ich hatte ihn für den einzigen Gesichtsausdruck gehalten, das ihm sein pubertierend-rebellierendes
     Ich zu gestatten schien.
    Während sich Frau Witt Notizen machte, predigte Herr Stern mit lauter Stimme und hervortretender Aorta, dass jetzt Schluss
     sei, dass er Mahmoud schon länger auf dem Radar habe, dass er nicht mehr bereit sei, dessen ständige Vergehen länger zu tolerieren,
     dass dieser kurz davor stünde, von der Schule zu fliegen. Gelegentlich überschlug sich Herrn Sterns Stimme sogar, so aufgebracht
     war er.
    Mahmoud tat mir nun fast ein bisschen leid. Derart eingeschüchtert hatte ich ihn noch nie erlebt. Zugleich war ich aber auch
     gespannt darauf, welche Strafe ihn erwartete. Ein vorübergehender Ausschluss vom Unterricht oder sogar die Umsetzung in eine
     andere Klasse? «Du wirst mit deinen Eltern kommen und dich in ihrem und unserem Beisein bei Herrn Serin entschuldigen und
     erklären, wie du deine Tat wieder gutzumachen gedenkst. Wenn uns deine Entschuldigung überzeugt, kannst du auf der Schule
     bleiben, wenn nicht, musst du abgehen.»
    Drei Tage später saß ich Mahmoud und seiner Mutter allein gegenüber, denn mein Direktor und seine Stellvertreterin mussten
     an einer wichtigen Sitzung der erweiterten Schulleitung teilnehmen. «Sie schaffen das schon, Herr Serin! Entscheiden Sie einfach,
     ob Sie Mahmoud die Entschuldigung abnehmen oder nicht.» Herr Stern hatte seinem Ruf wieder alle Ehre gemacht und |92| mich erneut hängen gelassen. Ich allein sollte darüber richten, ob ein Schüler auf diesem Gymnasium verbleiben durfte oder
     abgehen musste. Ein Referendar! Auch wenn mich Mahmoud bedroht hatte, so fühlte ich mich nicht wohl dabei, dass seine schulische
     Zukunft in meinen Händen liegen sollte. Zumal ich ihn irgendwie mochte. Er litt vermutlich an einer Impulskontrollstörung
     und war äußerst aufbrausend, aber wenigstens war er ehrlich, nicht so verlogen wie die Schüler des P W-Profilkurses , den ich mir gerade für eine Lehrprobe «geliehen» hatte.
    Mahmoud schien geahnt zu haben, dass er nicht mit Herrn Stern und Frau Witt rechnen musste, denn er war gekleidet wie immer:
     Camouflage-Hose, Sneakers, Fila-Sweater; sogar von seiner Basecap hatte er sich nicht trennen können. Und seine Mutter schien
     in den Grund ihres Erscheinens bislang nicht eingeweiht zu sein: dass mir ihr Sohn, nachdem ich ihm für eine Leistungsverweigerung
     eine Sechs gegeben hatte, zu verstehen gegeben hatte, mich alle zu machen. Ziemlich absurd wurde das Treffen auch dadurch,
     dass sie nur Arabisch sprach und kein neutraler Dolmetscher anwesend war. Wir waren auf Mahmoud als Übersetzer angewiesen.
    «Mahmoud, weiß deine Mutter, warum sie hier ist?»
    «Nein.»
    «Dann sag es ihr bitte!»
    «Istes Serin bado yehke maak ashen fi ahtimel usut. Bas heda mich chatae, heda chataa el tuleb el beyin min safe aashen bi
     dalun yiaasbuni. Bi sibune aashen ana mich tirke, aashen ana aarabe. Kilun byuthako aaleye bas ul shi.» 4
    |93| Ich versuchte, aus Frau Karamis’ Reaktion zu lesen, ob er die Wahrheit gesagt hatte. Sie schien geschockt. Also war er offenbar
     ehrlich gewesen. Das überraschte mich. Ich an seiner Stelle hätte vermutlich gelogen. Mahmoud fuhr fort:
«Bas istes Serin waadne ino lah yehke maa el saf la maad yitmascharo aaleye. Al kamen ino lahiy asisun wu isa ma byethasano
     lahiy dauere aala awdal madrase.» 5
    Frau Karamis lächelte mich schüchtern und dankbar an. Warum auf einmal das? Nun ergriff sie das Wort:
«Shukran ino aamet seaed ibne. Inta ktir lativ. Bas ma mnudar nutrud el tuleb min el madrase li aamey sancho aala ibne?» 6
    Mahmoud übersetzte für mich: «Sie sagt, dass ich Fehler gemacht habe. Dass das schlimm ist. Und dass ich eine Strafe bekomme.
     Ich soll mich vor der Klasse entschuldigen. Und Tafeldienst machen, das ganze Schuljahr. Und nicht mehr stören. Sie sagt,
     wenn ich von Schule fliege, gehe ich zurück in Libanon. Bitte, Herr Serin, es tut mir auch wirklich leid», nuschelte er sehr
     leise.
    In dem Moment hatte ich nicht mehr das Gefühl,

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