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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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String ließ sich gar nicht erst blicken
    Ich hatte eine Frage gestellt. Und Chantal-Michelle meldete sich. Das erste Mal seit August 2007.   Und wir waren nun bereits im Januar. Wahrscheinlich wollte sie kurz vor den Halbjahreszeugnissen noch ihre mündliche Geschichtsnote
     aufpimpen. Jetzt musste ich aufpassen. Nur keinen falschen beziehungsweise falsch platzierten Blick werfen. Das war eine schwierige
     Aufgabe, denn Chantal-Michelle war sehr aufreizend gekleidet. Ich konnte ihr in die Augen schauen, doch wenn ich Schülerinnen
     in die Augen schaute, wurde ich immer gleich nervös. Und das wäre für den weiteren Stundenverlauf fatal. Ich konnte ihr auf
     den Mund schauen, aber aus dem würde ihre falsche Antwort kommen. Außerdem hatte sie wieder einen dermaßen grellen Lippenstift
     aufgelegt, dass ich befürchten musste zu erblinden. Blieb noch ihr Körper, aber der bestand aus sehr viel Haut. Wie üblich.
    Vor der Aufnahme des Referendariats hatte ich mir oft die Frage gestellt, wie es mir möglich sein sollte, mich inmitten all
     der weiblichen Reize halbwegs auf den Unterricht zu konzentrieren. Denn auch mir waren all die Artikel aus
BILD
,
Süddeutscher Zeitung
und
Spiegel
nicht entgangen, in denen sehr reißerisch über den neuesten Look von Deutschlands Schülern diskutiert wurde. Fazit: Die T-Shirts wurden immer knapper, die Hosen rutschten immer tiefer, der Saum des Minirocks wanderte immer höher und Unterwäsche war,
     weil Stoff gespart werden musste, immer weniger dazu geeignet, überhaupt noch irgendwas zu bedecken. Und wenn sich die Jugendlichen
     nicht diesem Trend zur größtmöglichen |126| Transparenz anschlossen, trugen sie Klamotten von Thor Steinar. Oder lange schwarze Gewänder, die die Schnittwunden kaschieren
     sollten, die sich verzweifelte Borderline-Teenager mit Rasierklingen zufügten.
    Als ich vor Jahren mein erstes Schulpraktikum absolvierte, hatte ich mich mit meinem betreuenden Lehrer sehr gut verstanden
     und ihn gefragt, wie er mit der Kleidung der Schüler klarkomme. Er hatte eingeräumt, dass es für ihn nicht immer leicht sei,
     klaren Kopf zu bewahren, mir zugleich aber davon abgeraten, auf die Jugendlichen einwirken zu wollen. Er sei damit mehrmals
     böse auf die Nase gefallen. Einmal habe er eine Schülerin gebeten, ihr T-Shirt wenigstens über den Bauchnabel zu ziehen. Die Antwort der Neuntklässlerin: Das müsse so sein. Bauchfrei sei heute bei Jugendlichen
     gerade in. Ein anderes Mädchen, das er auf dessen unangemessen tiefen Ausschnitt ansprach, habe ihn vor der Klasse mit der
     Bemerkung bloßgestellt: «Sie finden meine Brüste wohl geil? Wollen Sie mal anfassen?» Seine Feststellung einem männlichen
     Schüler gegenüber, nicht die ganze Klasse sei scharf darauf, dessen Boxershorts zu sehen, habe ihm die peinigende Äußerung
     eingebracht, die ganze Klasse sei auch nicht scharf darauf, von einem Lehrer in Klamotten von Woolworth unterrichtet zu werden.
    Nicht nur die Outfits der Schüler können zu einem Problem werden, auch modische Extravaganzen der Lehrkräfte. Besonders wenn
     Letztere versuchen, mit den Jugendlichen in ihrer Jugendlichkeit mitzuhalten oder irgendwie attraktiv zu wirken. Manche Lehrerinnen
     bemühen sich beispielsweise, sich nicht wie eine Lehrerin zu kleiden, sondern wie eine Frau. Aber meist geht dieses Präsentieren
     der Weiblichkeit nach hinten los. So wie bei meiner ehemaligen Französischlehrerin Frau Stettin, die einmal mit einem, wenn
     auch nicht tiefen, so doch vorhandenen Dekolleté vor unsere Klasse trat. Als sie sich, vor Engin stehend, zu diesem herunterbeugte, |127| um ihm einen Fehler in seiner Hausarbeit zu erläutern, konnte die halbe 9a erkennen, wie überflüssig ihr BH war, was einige
     fortdauernde abwertende Krakeleien über ihre Körbchengröße auf den Jungenklos nach sich zog wie:
Frau Stettin ist ein BMW!
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Frau Stettins BH sind zwei Eierbecher!
    Die meisten Lehrer kleiden sich darum, vielleicht aus vorbeugendem Selbstschutz, in einer Weise, die den Schülern unmissverständlich
     klarmacht, dass vor ihnen kein sexuelles Wesen steht, sondern eines, das auf das eigene Erscheinungsbild keinen großen Wert
     legt, weil diese Eitelkeit einem guten Unterricht nur im Weg stünde. Abgetragene, ausgewaschene Jeans, dunkelfarbige Blusen
     und hässlicher Schmuck (zum Beispiel riesige Ohrringe und klobige Holzperlenketten von der letzten Keniasafarireise) sind
     keine Seltenheit. Hin und wieder werden Schüler auch

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