Föhn mich nicht zu
Gestalt sowie seinen Taekwondo-Tritten und -Schlägen die Stirn zu bieten – schon gar nicht durch Eloquenz.
Auch ich hatte seine Beleidigungen und Schmähungen stumm geschluckt, trotz meines Wissens um seine beschränkten rhetorischen
und geistigen Fähigkeiten. Ich hatte mich, ohne mich zu wehren, wegen meiner Klumpfüße verspotten lassen, obwohl auch mir
bekannt war, dass Nikon beim Umkleiden zum Sport nur deswegen konsequent sein T-Shirt anbehielt, weil er an einer ausgeprägten Gynäkomastie litt, also eine feminisierte Brust aufwies. Wir munkelten Körbchengröße
B. Seinen Abgang vom Gymnasium nach der elften Klasse hatte ich mit Erleichterung aufgenommen. Umso mehr wunderte es mich nun,
ihm auf unserem Abi-Treffen im
nbi
zu begegnen.
|132| Natürlich war seit Nikons Abschied von unserer Schule viel Zeit vergangen. Natürlich konnten Menschen sich in zwölf Jahren
ändern. Trotzdem hatte ich Nikon den Abend über meiden wollen. Aber leider hielt er sich ununterbrochen bei Maria auf, der
früheren Schulschönheit, in die ich von der siebten bis zur zehnten Klasse vergeblich verliebt war. Und die hatte ich mir
einfach aus der Nähe anschauen müssen, um zu wissen, ob sie noch so blendend aussah wie damals oder, was ich hoffte, merklich
an Attraktivität eingebüßt hatte. Obwohl sie mir natürlich längst nichts mehr bedeutete. Also war ich zu den beiden hinübergegangen,
dabei sogar vorgebend, mich eigentlich mit Nikon unterhalten zu wollen. Denn so beabsichtigte ich, den Eindruck zu vermeiden,
ich sei noch immer an Maria interessiert.
Nikon hatte sich äußerlich kaum verändert. Seine Haare waren wie früher kurz und braun, seine Gesichtszüge bubihaft weich,
wenn auch mit weniger Babyspeck. Und sein Bartwuchs war kaum dichter als damals. Statt der einst üblichen Trainingsjacke trug
er diesmal jedoch ein weißes Hemd.
Auf mein Erscheinen hatte er im ersten Moment mit gespielter Ahnungslosigkeit reagiert, so, als erinnerte er sich nicht mehr
an mich, nur um nach einigen Sekunden unvermittelt zu bemerken: «Ach! Jetzt weiß ich. Du bist doch immer Maria hinterhergerannt.
Soll ich dich vielleicht mit ihr allein lassen?» Er hatte sich also auch charakterlich nicht verändert. Von rechts hatte ich
Marias amüsiertes Lachen vernommen. Bereits aus den Augenwinkeln hatte ich sie gemustert und mich zu meiner Zufriedenheit
davon überzeugen können, dass sie – trotz der großen Brüste unter ihrem bordeauxroten Hemd, ihres dichten, kastanienbraunen
Haares, das über ihre Schultern fiel, ihrer großen Augen und der langen Wimpern – ihren körperlichen Zenit bereits überschritten
hatte. Sie sah bereits wie eine welkende Sekretärin aussah, anstatt wie die Sexbombe, die uns allen damals den Kopf verdreht
hatte – |133| und dennoch hatte mich Nikons Provokation nicht ungerührt gelassen.
Da ich die beiden nicht wie ein eingeschnapptes Kind einfach stehen lassen konnte, entgegnete ich, um mein Gesicht zu wahren:
«Ja, lass uns bitte allein!» Aber wie zu erwarten, tat Nikon mir nicht den Gefallen. Er war geblieben. Und ich auch. Um nicht
den Anschein zu vermitteln, man könne mich mit ein paar spöttischen Bemerkungen vertreiben. Interesse an Nikons Leben wollte
ich nun zwar keineswegs mehr heucheln. Aber wenn mein Herumstehen es ihm zumindest erschwerte, weiter ungestört mit Maria
zu flirten, dann hatte ich wenigstens etwas erreicht.
«Wat macht eigentlich deine Freundin, Stephan? Meinste nicht, dass die dit scheiße findet, wenn du dich hier an Maria ranmachst?»
«Ich hab keine. Als das damals mit Maria nicht geklappt hat, hab ich mir geschworen, ein Leben lang Single zu bleiben.»
Maria hatte irritiert geschwiegen. Ich hatte Melanie absichtlich nicht mitgebracht, aus Angst, zu viel über mein Privatleben
preiszugeben und mich damit für andere angreifbar zu machen. Und weil ich befürchtet hatte, meine früheren Schulkameraden
könnten meine Freundin unattraktiv finden oder sogar hübschere Frauen dabeihaben. Aber meine Sorgen diesbezüglich waren unbegründet.
Vor den anwesenden Partnerinnen meiner ehemaligen Mitschüler hätte ich Melanie nicht zu verstecken brauchen. Und eigentlich
war sie Maria gar nicht mal so unähnlich. Vergleichbare Figur, wenn auch etwas runder, weicher. Lange, braune Haare. Die gleichen
hohen osteuropäischen Wangenknochen, die gleichen großen grünen Augen. Der Blick jedoch weniger mädchenhaft, sondern kühler
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