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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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zukünftig einen Schüler
     oder eine Schülerin mit einem Taschentelefon erwischen, egal bei welcher Betätigung, würde ich es ausnahmslos einsammeln und
     einzig den Eltern wieder aushändigen. Allerdings stand ich mit diesem Vorhaben vor der Herausforderung, die Geräte als Handys
     identifizieren zu müssen. Keine leichte Aufgabe für jemanden wie mich, der als ehemaliger Bürger der DDR seit dem Fall der
     Mauer aufgehört hatte, mit der technischen Entwicklung |173| Schritt zu halten, und für den ein Polylux, ein in der DDR geläufiger Tageslichtprojektor, den letzten Schrei im Bereich Hightech
     darstellte.
    Unter einem prototypischen Handy stellte ich mir einen schwarzen, zwischen fünfundzwanzig und dreißig Zentimeter langen Klotz
     vor mit einer Antenne zum Ausziehen. Dass man zur Bedienung eines Mobiltelefons des Jahres 2007 keine Mikrostifte benötigte,
     wäre mir nie in den Sinn gekommen. Entsprechend wahllos stürzte ich mich auf die Schüler:
    «Was hast du da unterm Tisch? Ein Handy, gib’s zu!»
    «Das ist kein Handy. Das ist ein elektronisches Wörterbuch.»
    «Lüg mich nicht an! Das sehe ich drei Meilen gegen den Wind, dass das ein Handy ist. Her damit! Deine Eltern können es sich
     bei mir abholen.»
    «Nein!»
    «Wenn du es mir nicht gibst, dann sag ich Herrn Stern, dass du im Unterricht ein Handy benutzt.»
    Irgendeiner rief: «Petze! Petze!»
    Tung, der in Geschichte als Einziger auf Eins stand, verstieg sich zu einem absurden Vorwurf: «Sie sind wohl von der Stasi!»
    «So übel war die Stasi gar nicht.» Mit einem Scherz versuchte ich mein Gesicht zu wahren: «Die Stasi hat in der DDR einfach
     nur darüber gewacht, dass niemand über einen anderen Menschen etwas Schlechtes gesagt hat.»
    Niemand verstand den Witz, aber immerhin rückte Adina ihr Gerät heraus. Doch ich hatte bereits in jenem Moment ein ungutes
     Gefühl. Seit wann stellte Langenscheidt Handys her? Aber ich brachte nicht den Mut auf, vor der versammelten 9b das demütigende
     Eingeständnis zu machen, mich geirrt zu haben. Ich zog es vor, diesen Irrtum Adinas Eltern zu gestehen. Immerhin konnte ich
     zu meiner Entlastung vorbringen, dass ein elektronisches Wörterbuch Englisch-Deutsch in Geschichte keinen Sinn |174| habe und die Beschäftigung damit nur vom Unterrichtsgeschehen ablenke.
    Aus dieser unangenehmen Situation zog ich eine Lehre. Fortan sammelte ich einfach alles ein, was auf Strom, Batterie oder
     Akku angewiesen war. So wurde ich der Situation in der 9b doch noch einigermaßen Herr.
    Leider hatte ich nicht nur in der 9b Unterricht. In Vertretungsstunden für Kollegen musste ich mit dem Handyverbot jedes Mal
     ganz von vorne anfangen und verfügte, da ich meistens nur eine Stunde bei den Schülern blieb, kaum über abschreckende Sanktionsmöglichkeiten.
     Es war deprimierend. Wenn ich in einer Ecke des Raumes nach langer Diskussion einen Schüler dazu gebracht hatte, sein mobiles
     Gerät wegzustecken, hatten in einer anderen Ecke des Raumes drei Schüler ihres hervorgeholt.
    Das beschämendste Erlebnis hatte ich in einer siebten Klasse, in der ein Junge während der Stunde einen Anruf entgegennahm:
    «Ja, weißdu! Heute, komisch   … Ja   … Klar   … Krass   … Isch weiß.»
    «Mach dein Handy aus!»
    «Weißdu! Nein   … Spinnt die Fotze?!   … Musst krass schlagen, du!»
    «Das Handy aus!!!»
    «Wat ma, ey, hier is Lehrer   … Isch mach nisch aus.»
    «Gib das Handy her!»
    «Isch geb nischher!»
    «Doch!»
    «Nein!»
    «Sonst sag ich’s Herrn Stern.»
    «Mach doch! Wieheißisch?»
    Ich verzichtete darauf, auf das Duzen des Schülers zu reagieren, denn ich wollte mich nicht in meinem Kampf verzetteln.
    «Sag mir, wie du heißt!»
    «Sag isch nisch!»
    |175| «Doch!»
    «Nein!»
    «Sonst sag ich Herrn Stern, dass du mir deinen Namen nicht verraten willst.»
    «Was willst du!?»
    Ich antwortete nicht, sondern entwendete ihm blitzschnell sein Telefon und sprach ins Mikro: «Dein Freund muss jetzt Schluss
     machen! Ich hoffe, der Satz war nicht zu kompliziert für dich.» Danach legte ich auf. Besser gesagt: Ich drückte auf eine
     Taste, die ich mit dieser Funktion in Verbindung brachte. Doch statt aufgelegt zu haben, hatte ich ein Foto von mir gemacht,
     genau genommen von meinen orthopädischen Schuhen. Damit der Junge das nicht merkte, konfiszierte ich vorsorglich sein Handy:
     «Deine Eltern können es sich bei mir abholen.»
    Mit Andrés Hilfe gelang es mir, das Foto zu

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