Föhn mich nicht zu
Kollegin
Partei.
|178| «Doch! Voll langweilig. Alle wollen Sie wieder. Wenn Sie wollen: Wir machen die fertig.» Karol grinste verschmitzt, so wie
er es auch in meinem Unterricht oft getan hatte, wenn er etwas ausgeheckt hatte. «Dann kriegtse wieder Burnout. Dann muss
sie wieder weg. Und wir kriegen wieder Sie, Herr Serin.»
In diesem Vorhaben durfte ich meinen ehemaligen Schüler auf keinen Fall bestärken. Obwohl: Wenn Frau Schmidt noch mal eine
kleine krankheitsbedingte Pause einlegte, dann hätte ich für Geschichte eine bessere Examensklasse, nicht die von Burak … Nein, das ging nicht! Hier musste ich Karol ins Gewissen reden. Hier hatte ich kollegial zu sein.
«Karol, du kannst nicht von mir erwarten, dass ich dich und deine Mitschüler auffordere, eine andere Lehrerin zu mobben. Selbst
wenn ich wollte, dürfte ich das gar nicht. Dennoch sollst du wissen, was immer ihr tut, ich würde euch liebend gern wieder
unterrichten.» Mit diesen Worten verhielt ich mich einerseits loyal gegenüber Frau Schmidt, anderseits verbog ich mich nicht.
Meine Freude über den Zuspruch meiner ehemaligen Schüler erhielt jedoch einen Tag darauf einen Dämpfer, als ich während meiner
Pausenaufsicht folgende Bemerkung aufschnappte: «Frau Wojcik, Französisch ist jetzt voll langweilig. Mit Ihnen war es besser.»
Wie konnte ein Schüler den Unterricht bei Frau Wojcik irgendeinem anderen Lehrer vorziehen? Das war mir unbegreiflich. Sie
hatte selbst unter Kollegen einen erbärmlichen Ruf, denn sie konnte praktisch kaum Französisch und Deutsch nur unwesentlich
besser, weshalb ihre Arbeitsanweisungen häufiger von einem polnischen Schüler der Klasse für die anderen übersetzt werden
mussten. Sie hatte Frankreich noch nie besucht. Ihr Lieblingsautor war Guy de Maupassant, den sie aber nur auf Polnisch lesen
konnte. Seit
Louis und die verrückten Politessen
, in dem man Louis de Funès in seiner letzten Rolle vor seinem Tod sehen kann, hatte sie keinen französischen Film mehr gesehen.
Und sie kannte |179| nicht einmal Renaud, den französischen Chanteur, in den nun wirklich jede Französischlehrerin in Deutschland verliebt war.
Im Unterricht verfuhr sie nach der Devise, dass die Schüler erst mit Sprechen anfangen dürften, wenn sie die französische
Grammatik perfekt beherrschten, was bis zum Abitur natürlich niemandem gelang.
Wie konnte man sich als ehemaliger Schüler bloß bei ihr beklagen, nicht mehr von ihr unterrichtet zu werden? Dies entwertete
doch völlig das Kompliment, welches mir am Tag zuvor Karol gemacht hatte. Am demütigsten war, dass es sich bei Frau Wojciks
Bewunderer um Akin handelte, einen Schüler, den
ich
nun in Französisch unterrichtete. Er ging in die 8a, und die hatte ich von ihr übernommen. Und dabei bemühte ich mich nun
wahrlich um schülergemäßen Unterricht. Oft setzte ich Rollenspiele ein. Ich ließ die Schüler viel in Partnerarbeit miteinander
sprechen, ohne ständig ihre Fehler zu korrigieren. Ich suchte nach Texten und Übungen, die authentischer waren als die Angebote
im Lehrbuch. Oder dachte mir selbst Dialoge aus. Und ich arbeitete mit Comics, mit Filmen und mit Chansons. In meiner Elften
hatte ich in einer Lehrprobe sogar von NTM 13 «Qu’est-ce qu’on attend?» 14 behandelt und es mir mit Herrn Schubert übel verscherzt, weil in dem Lied zu Gewalt gegen die französische Regierung aufgerufen wurde. Akins ältere Schwester Serpil besuchte diese Elfte.
Und nun das! Eine wohlwollende Benotung würde Akin sich damit abschminken können, das stand schon mal fest, ebenso alle anderen
aus der 8b, die sich nach Frau Wojcik zurücksehnten. Und ich würde die Schüler fortan jede Stunde mit Tests und Grammatik
quälen. Aber vielleicht kam ich auch gar nicht mehr dazu.
|180| «Sollen wir Herrn Serin fertigmachen, damit wir wieder bei Ihnen Unterricht haben, Frau Wojcik?»
«Gerne.»
Raum 020, Dienstag, 12.09 Uhr, 5. Stunde, Geschichte 8b
Burak: Herr Serin, wissen Sie, wie 50 Cent escht heißt?
Ich: Ja, aber jetzt machen wir weiter Unterricht!
Burak: Also, Sie wissen nisch!
Ich: Doch! Aber wir sind jetzt im Unterricht.
Burak: Wenn Sie wissen würden, würden Sie sagen.
Ich: Curtis Jackson.
(Anerkennendes Raunen in der Klasse und ein «Tschüüüsch» von Burak)
Jamal: Und Jay Z?
Ich: Das sag ich euch nach der Stunde.
Jamal: Sie wissen dis nich!
Burak: Genau! Sie wissen nisch!
Ich: Doch, weiß ich!
Jamal: Michael
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