Föhn mich nicht zu
löschen.
Solche Auseinandersetzungen hatte ich in der 9b längst nicht mehr. Das Handyproblem schien gelöst. Dachte ich. Bis es im Unterricht
klingelte. Überraschenderweise reagierte niemand der Schüler. Das Klingeln wurde immer lauter. Schließlich begriff ich, dass
es aus meiner Jackentasche kam. Melanie hatte mich vor kurzem dazu gezwungen, mir trotz meiner ideologischen Imperative ein
Mobiltelefon zuzulegen, mit der Begründung: «Nur für Notfälle.»
«Tut mir leid», entschuldigte ich mich bei meinen Schülern. «Meine Freundin. Ein Notfall … Ja?»
«Hallo Stephan. Ich bin’s. Ich wollte nur mal ausprobieren, ob du wirklich rangehst, wenn ich dich anrufe. Tschüss.»
Der Anruf diskreditierte mein ganzes Anti-Handy-Workout gegenüber der 9b. Noch schlimmer war aber, dass ich Karol bitten musste,
mein Handy auszustellen. Ich wollte nicht wieder aus Versehen ein Foto von mir schießen.
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Uncool trotz Hip-Hop
Diese Woche hatte ich wieder meine Ups und Downs als Lehrer. Dienstag war ein guter Tag. Vor dem Vertretungsplan lief mir
nach langer Zeit mal wieder Karol aus der 10b über den Weg, den ich bis letztes Jahr in Geschichte unterrichtet hatte.
«Na, Karol! Wie läuft es denn in Geschichte?»
«Ist voll langweilig. Bei Ihnen hat’s mehr Spaß gemacht. Sie waren ein echt cooler Lehrer.»
Diese Worte taten gut. Von meinen Ausbildern erhielt ich weiterhin nur die Rückmeldung, meinen Berufswunsch noch einmal zu
überdenken. Schön, wenn einen wenigstens die Schüler schätzten. Zugleich war ich allerdings verwundert, gerade aus Karols
Mund so überschwängliches Lob zu vernehmen. Schließlich hatte er mir den Unterricht oft durch sein ständiges Stören unmöglich
gemacht. Und er verdankte mir seine einzige Fünf auf dem Zeugnis, drei Tadel, einen schriftlichen Verweis und einen zweitägigen
Ausschluss vom Unterricht. Aber offenbar bewahrten selbst die schlechten Schüler einen sehr klaren Blick dafür, welche Lehrer
etwas drauf hatten beziehungsweise welche sich zumindest gut mit Hip-Hop auskannten.
Natürlich fragte ich mich, ob er sich nur einschleimen wollte. Aber was hätte es ihm gebracht? Ich unterrichtete ihn nicht
mehr – und würde ihn auch nicht mehr unterrichten. Nach meiner Prüfung am Ende des Schuljahres würde ich das Werner-Heisenberg-Gymnasium
verlassen müssen. Sein Verhalten bestätigte wohl nur, dass Schüler im Äußern von Zu- und Abneigung schonungslos ehrlich waren,
zumindest die jüngeren.
|177| Zwar gehörte Karol als Schüler der Zehnten eigentlich nicht mehr wirklich zu den Kleinen. Aber er hatte den naiv-interessierten
Ausdruck in den Augen sowie diese zapplige Motorik, die man eher bei Siebt- oder Achtklässlern beobachtete. Zudem kämpfte
er gerade erst mit dem Stimmbruch. Und die Stupsnase, der leichte Flaum über den schmalen Lippen sowie die glatten Wangen
im sommersprossigen Gesicht ließen ihn eher wie dreizehn denn wie sechzehn wirken. Die Pubertät hatte also noch ein gutes
Stück Arbeit an ihm zu verrichten. Wenn ich zudem sein nicht übermäßig erwachsenes Verhalten in Rechnung stellte, von dem
ich mir noch vor wenigen Monaten in unserem gemeinsamen Unterricht regelmäßig hatte ein Bild machen können, dann durfte ich
ihn guten Gewissens zu den jüngeren, den ehrlichen Schüler zählen.
Dank seines Lobes ging es mir gleich erheblich besser. Eigentlich war das der bisher schönste Tag in meinem Referendariat.
Schade, dass ich seine Klasse hatte abgeben müssen. Ich hätte sie gern für meine Staatsexamensprüfung behalten. Jugend-forscht-verdächtig
waren sie zwar nicht gerade, aber in Vorführstunden hatten sie sich stets bemüht. Nach anfänglichen Disziplinproblemen war
unser Verhältnis immer freundlicher geworden. Besonders stolz machte mich der Umstand, dass sich der Notendurchschnitt der
Klasse, der beim ersten Test noch bei 4,2 gelegen hatte, bis zum Ende des Schuljahres kontinuierlich auf 3,9 verbesserte.
Seit Ende August wurde sie nun von Frau Schmidt unterrichtet. Frau Schmidt hatte burnoutbedingt zwei Jahre gefehlt, war zu
diesem Schuljahr wiedergekommen und hatte die 10b übernommen. Um ihr den Einstieg zu erleichtern, hatte ich meine Schüler
über die psychischen Probleme von Frau Schmidt ins Bild gesetzt und sie gebeten, sie wohlwollend zu behandeln.
«Das kann ich mir gar nicht vorstellen, dass Frau Schmidt keinen guten Unterricht macht, Karol?» Ich ergriff für meine
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