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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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war bis zu diesem Zeitpunkt bereits fünfmal ausgegangen, weshalb der Gruß nun ohne Fahne – weil
     rote und blaue Kreide fehlten – an der Tafel stand. Um 13.30   Uhr gab Frau Reiz schließlich enttäuscht das Zeichen zum Aufbruch. Wir begannen, die Sachen zusammenzupacken. Gegen alle Erwartungen
     tauchte aber plötzlich doch noch eine Mutter mit ihrer Tochter auf.
    Schnell stellte sich heraus, dass es eine Mutter von der unangenehmen Sorte war, eine, die für ihr Kind nur das Beste wollte
     und dafür mehrere Angebote verglich. Ohne mich zu konsultieren, kamen Frau Reiz, Frau Schalow und Frau Flach überein, dass
     ich der beste Ansprechpartner für diese Person wäre. «Am besten, Sie fragen unseren jungen Kollegen, Herrn Serin. Er kommt
     gerade von der Uni und macht wirklich sehr modernen Unterricht.» Woher sie das wissen wollten, war mir ein Rätsel. «In Englisch
     und Spanisch gibt es keine solchen jungen und dynamischen Kollegen.» Jetzt logen sie auch noch, denn André war am selben Tag
     geboren wie ich. Außerdem verschwiegen sie, dass ich die Schule bald zum Ende des Referendariats verlassen würde.
    «Was machen Sie denn in der siebten Klasse so im Unterricht?», fragte die Mutter.
    «Viel Grammatik und Vokabeltests.» Selbst hatte ich keine siebten Klassen, aber ich wusste aus den Hospitationen, was bei
     meinen drei Kolleginnen im ersten Lernjahr passierte.
    |209| «Wenn das modern ist, dann werden Sie den Kinder nicht vermitteln, dass man die Sprache später gebrauchen kann, zum Beispiel
     im Berufsleben.»
    «Das kann man wahrscheinlich auch nicht», gab ich unumwunden zu. «Französisch ist heutzutage aus beruflichen Erwägungen ziemlich
     nutzlos. Die Sprache ist auf einem absteigenden Ast. Die möchte keiner mehr lernen, schon aus dem Grund, weil sie viel zu
     schwer ist. In zwanzig Jahren wird sie die gleiche Bedeutung haben wie Latein. Wer Französisch nimmt, kann eigentlich nur
     Lehrer werden. Allerdings bekommt er mit diesem Fach sowieso keine Stelle. Ich würde Spanisch empfehlen. Die Sprache ist zwar
     hässlich, aber man bekommt leicht gute Noten.»
    «Meine Tochter hat Spanisch schon als erste Fremdsprache.»
    «Dann soll sie Englisch nehmen, wenn sie etwas lernen möchte, das ihr beruflich etwas bringt.»
    Die Mutter war weiterhin unschlüssig. Als sie aber von mir erfuhr, dass ich das Werner-Heisenberg-Gymnasium bald verlassen
     würde, wodurch der Altersdurchschnitt im Fachbereich auf sechzig Jahre anstiege, und dass Französisch in der Regel schlecht
     für die Abinote sei, weil auch die besten Schüler hier oft nur eine Drei bekämen, hatte ich ihr die Sprache tatsächlich ausgeredet.
     Das war zwar nicht meine Absicht gewesen, aber ich konnte nicht lügen. Und sie hatte mich auch nicht danach gefragt, ob die
     Sprache schön sei oder ob ich Frankreich mochte. Frau Reiz und Frau Flach nahmen mir meine Ehrlichkeit sehr übel. Selbst Frau
     Schalow schien enttäuscht. Dabei hatte ich sie alle gewarnt.
    Raum 103, Dienstag, 10.59   Uhr, 5.   Stunde, Französisch 11a
    Ich: Ahmet! Wann bekomme ich endlich meine Revanche im Armdrücken? Über Monate hältst du mich schon hin.
    Ahmet: Nach Ihra Prüfung. Sie müssen trainieren!

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Den Behindie kennt hier jeder
    In meinem Fach lag ein Zettel. «Herr Serin, morgen müssen Sie in der 8n in der vierten eine Stunde Geschichte vertreten. Sprechen
     Sie sich dazu bitte mit Frau Jeschke ab.»
    Wer war Frau Jeschke? Als neuer Vertretungslehrer kannte ich außer dem stellvertretenden Direktor noch keinen Kollegen beim
     Namen. Schließlich war ich erst drei Monate an der Hellersdorfer Fried-Gesamtschule, meiner zweiten Station nach dem Referendariat,
     und bis zum Ende des Schuljahres mehr als zwei Namen lernen zu wollen, wäre für mich ein utopisches Unterfangen gewesen. Ich
     musste mir schließlich bereits die der Schüler merken. An die wandte ich mich auch, genauer an Ferdinand aus der Siebten,
     den ich in Französisch unterrichtete:
    «Sag mal Ferdinand, kennst du Frau Jeschke?»
    «Natürlich! Die kennt hier jeder. Den Behindie.»
    Mir war klar, dass ich mich auf sehr dünnem Eis bewegte: «Okay! Beleidigungen mal beiseite. Wie sieht Frau Jeschke denn aus?»
     Das war eine unglückliche, weil hochexplosive Frage, denn Ferdinands vorherige Äußerung ließ erahnen, welches die hervorstechenden
     Attribute von Frau Jeschke waren. Wahrscheinlich würde er einen krummen Rücken, O-Beine , einen Beckenschiefstand oder eine

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