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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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mir, ich hätte
     nicht die richtige Stimme für einen Lehrer, zu monoton.
    André: Spast!   … Weeßte, die verlangen immer, dass man Schüler in ihrer Persönlichkeit ernst nimmt und die Stärken hervorhebt. Aber selber
     behandeln se einen wie Dreck.
    Ich: Und meine Geschichtsseminarleiterin meinte einmal zu einer anderen Referendarin: «Schon beim Einstieg wusste ich, dass Ihre
     Stunde in die Hose geht. Eigentlich wollte ich da gleich wieder den Raum verlassen.»
    André: Und der von heute hat zu einem anderen gesagt: «Sie haben sich deutlich verschlechtert, Sie haben abgebaut, Ihre Vorführung
     entspricht nicht   …»
    Frau Baum: Pssst! Könnten Sie bitte leiser reden! Das ist wirklich anstrengend. Ich muss Klausuren korrigieren.

|204| 33
Mit Asterix gegen Daniel Radcliffe
    Ich bin einfach kein guter Verkäufer. Das hätten mir meine Französischkolleginnen glauben sollen. Dann hätten sie mich nicht
     dazu gedrängt, ihnen am Tag der Offenen Tür dabei zu helfen, unseren Fachbereich zu vertreten. Schließlich hat mich meine
     Unfähigkeit, ein Produkt an den Mann zu bringen oder auch nur glaubhaft dafür Werbung zu machen, schon so manchen Job gekostet.
     Zum Beispiel, als ich mir damit Geld verdienen wollte, den Passanten vor den Schönhauser-Allee-Arkaden Probe-Abos der
Berliner Zeitung
anzudrehen. Auf ablehnende Kommentare wie: «Ich mag die
Berliner
nicht», verteidigte ich das Blatt nicht, sondern entgegnete wahrheitsgetreu: «Na, ich mag die
Berliner
auch nicht. Was denken Sie denn, warum ich versuche, die loszuwerden?» Als ich, noch als Schüler, bei McDonald’s jobbte, blickte
     ich beim Kassieren die Kunden nicht an, weil es mich beschämte, für diese Fast-Food-Kette zu arbeiten. Manchmal duckte ich
     mich hinter die Kasse, sodass man nur noch meine Hände sah, die die Bestellung eintippten. Heute weiß ich, mein Verhalten
     war falsch. Die McDonald’s-Klientel hätte vor
mir
den Blick senken müssen, denn schließlich ist es viel erbärmlicher, dort etwas zu essen, als dort zu arbeiten. In Anbetracht
     meiner Schwierigkeiten im Umgang mit Kundschaft jeglicher Couleur ist es nicht verwunderlich, dass ich meine Rolle als Botschafter
     Frankreichs und seiner Sprache nur unzureichend ausfüllte, so sehr ich Land und Sprache schätze.
    Oft nehmen die Schüler mir gegenüber kein Blatt vor den Mund, wenn sie ihre Meinung zum Fach bekunden: «Französisch |205| ist voll langweilig! Hab escht keen Bock uff den Scheiß.» Ich kann es ihnen nicht verdenken. Schließlich ist es ihre Meinung.
     Ich kann nicht von ihnen erwarten, die Sprache zu mögen, bloß weil ich sie mag. Und wenn mir ein türkischer Schüler an den
     Kopf haut, alle männlichen Französischlehrer seien schwul, dann würde ich lügen, wenn ich dieser These widerspräche. Das stimmt
     einfach. Darum gibt es auch kaum männliche Französischlehrer, weil sich viele Schwule nicht zu ihrem Coming-out durchringen
     können. Ich bin eigentlich der einzige nicht-homosexuelle Französischlehrer in Berlin. Und somit sehe ich meine Entscheidung
     für dieses Fach ebenso als Kampf um die Gleichberechtigung sexuell anders orientierter Männer. Wenn die Schüler durch die
     Konfrontation mit mir begriffen haben, dass Lehrer dieses Faches nicht zwangsläufig homo sein müssen, wenn sich diese Korrelation
     im kollektiven Bewusstsein der Schüler aufzulösen beginnt, dann werden sich Schwule bestimmt wieder trauen, Französisch zu
     unterrichten.
    Meinen Einwänden schenkte Frau Reiz kein Gehör. Unbedingt sei meine Teilnahme am Tag der Offenen Tür erforderlich, mahnte
     sie mich in ihrer strengen Art. Zum einen sei ich die einzige männliche Fachlehrkraft, könne also besser die weibliche Klientel
     ansprechen. Zum anderen sei ich der einzige Französischlehrer unter fünfundfünfzig, verkörpere also die Dynamik, auf die dieses
     Fach im Wettstreit mit Englisch und Spanisch angewiesen sei. Und schließlich sei ich als Einziger von ihnen schon in Frankreich
     gewesen.
    So wartete ich nun im Raum 113 des Werner-Heisenberg-Gymnasiums zwischen drei etwa sechzigjährigen Kolleginnen – neben Frau
     Reiz noch Frau Flach und Frau Schalow – auf Eltern, die mit dem Gedanken spielten, ihren Nachwuchs ab der siebten Klasse für
     das Fach Französisch anzumelden. Wir gaben vermutlich kein wirklich gutes Bild ab. Frau Reiz stand steif in ihren |206| Stöckelschuhen da und drückte dabei ihre Brust so weit vor, dass sie mit ihrem dunkelblauen Hemd, ihrem

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