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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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blauen Halstuch, ihren
     dauergewellten kurzen blonden Locken und ihrer an einer goldenen Kette um den Hals hängenden Brille wie eine in die Jahre
     gekommene Pionierleiterin aussah. Frau Flach hatte Schutz suchend hinter unserer Fachbereichsleiterin auf einem Stuhl Platz
     genommen, aus chronischer Erschöpfung, aber vielleicht auch, damit ihre Alkoholfahne nicht bis zu eventuell auftauchenden
     Besuchern vordrang, und um ihre tiefen Tränensäcke und ihre gerötete Nase zu verbergen. Frau Schalow, die gute Seele des Fachbereichs,
     die mir vor jeder Lehrprobe immer Schokolade zusteckte, lächelte ihr wärmstes Lächeln. Obwohl sie kurz vor der Pensionierung
     stand und in einem unserer ersten Gespräche über die Schüler resigniert geseufzt hatte: «Zunächst sind die lieben Türken aus
     dem Wedding an unsere Schule gekommen, dann die bösen», hatte man, anders als bei ihren beiden um wenige Jahre jüngeren Kollegen,
     dennoch den Eindruck, dass sie sich gerade auch um die «bösen Türken» besonders bemühte, dass ihr gerade das Schicksal der
     schwierigen Schüler am Herzen lag. Dennoch sah man auch ihr an, dass sie nur noch eine kurze Zeit als Lehrerin vor sich hatte.
     Sie konnte folglich nur schwer einen energiegeladenen und modernen Fachbereich verkörpern. Für Dynamik und Modernität war
     tatsächlich allein ich zuständig. Die Frage war nur, ob ich im Kontrast zu meinen Kolleginnen und wegen meines DC- T-Shirts nicht eher wie ein Schüler der Oberstufe erschien, wenn auch einer mit Geheimratsecken.
    Mein Wirken stand von Anbeginn unter einem schlechten Stern. So hatte ich es versäumt, etwas Landestypisches mitzubringen,
     weshalb wir mit dem werben mussten, was Frau Reiz, Frau Schalow und Frau Flach zur Verfügung stellten. Authentizität war in
     der heutigen Fremdsprachendidaktik das A und O.   Auf dem Präsentationstisch lagen bei meiner Ankunft bereits die deutsche |207| Ausgabe von
Asterix der Gallier
und eine Schachtel
merci
. Diese beiden «authentischen» Materialien wurden von Frau Flach offeriert. Frau Schalow hatte eine Sammlung Paris-Postkarten
     ausgelegt, die ihr wohl Anfang der Neunziger vom Tourismusbüro der französischen Hauptstadt auf Anfrage zugeschickt worden
     waren. Frau Reiz schob ein Video über Frankreich in den Rekorder: «Video ist modern. Das kommt bei Schülern immer gut an.»
     Allerdings wusste niemand von uns, wie man eine so moderne Technik bedient. Deshalb musste uns Martin aus der 7b die ganze
     Zeit über zur Seite stehen und die Kassette jedes Mal, wenn sie zu Ende war, wieder zurückspulen und erneut abspielen. Das
     Video wurde allerdings nur tonlos gezeigt, da es sich um einen Mitschnitt aus dem DD R-Schulfernsehen des Jahres 1987 handelte, in dem vor allem die Themen Arbeitslosigkeit, soziale Armut und der diskriminierende Umgang mit
     den Migranten in Frankreich behandelt wurden. Für den Unterricht fand es keine Verwendung mehr, aber als Stummfilm zum Tag
     der Offenen Tür war es in den Augen der Fachseminarleiterin noch zu gebrauchen.
    Es war Augenwischerei, anzunehmen, mit diesem Dekor gegen die Engländer und Spanier bestehen zu können. Der Spanisch-Fachbereich
     wartete mit einer Powerpoint-Präsentation und einem Hip-Hop-Workshop auf. Im Fachbereich Englisch hatte man dank der Beziehung
     einer Austauschschülerin den Harry-Potter-Darsteller Daniel Radcliffe einladen können. Und als ob das nicht reichte, handelte
     es sich beim Raum 113 um einen der verwahrlostesten der ganzen Schule. Zwar hatte Frau Schalow immerhin die Schmierereien
     an den Wänden mit Plakaten zum letzten Schüleraustausch nach Poitiers verhängt. Aber die zahlreichen Löcher vom vielen jahrzehntelangen
     Stühlekippeln im graugelben PV C-Fußboden lagen frei wie eh und je. Und der herausgerissene Teil der Deckenverkleidung hinten links in der Ecke musste jedem Besucher
     sofort ins Auge stechen.
    |208| Doch der Andrang bei uns war erwartungsgemäß sehr überschaubar. Von 10 bis 14   Uhr dauerte der Tag der Offenen Tür. Bis 13   Uhr hatten sich gerade drei Besucher in den Raum 113 verirrt. Und «verirrt» war die treffende Bezeichnung. Es handelte sich
     um Sechstklässlerinnen auf der Suche nach Daniel Radcliffe. Frau Reiz versuchte sie zum Bleiben zu bewegen, indem sie auf
     mich deutete: «Das ist Daniel Radcliffe.» Aber die Mädchen ließen sich nicht foppen. Der Overhead-Projektor, mit dem wir die
     Trikolore und die Begrüßung
bienvenu
an die Wand projizierten,

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