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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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erkennen, lange bevor sie «ich» sagen. Man kann vermuten, dass sie in diesem Alter noch nicht über sich als denkende Wesen nachgrübeln. Auch einige Tiere können sich im Spiegel erkennen, beispielsweise Menschenaffen, Raben oder Elefanten. Der Spiegeltest geht ganz einfach: Man malt Farbe an den Kopf der Tiere und schaut, ob sie darauf reagieren, wenn sie vor einem Spiegel sitzen. Während Hunde und Katzen ihr Spiegelbild angreifen oder davor zurückschrecken, wischen Schimpansen die Farbe in aller Ruhe weg.
    Der deutsche Philosoph Thomas Metzinger stellt fest, dass Philosophen sich traditionell auf das sprachliche Selbstbewusstsein und das Erkennen des Spiegelbilds konzentriert haben. Dabei gebe es noch eine weitere Form des Selbstbewusstseins, die so grundlegend ist, dass man sie leicht übersieht – wie eine Brille, die man nicht findet, weil man durch sie hindurchblickt. Man könnte diese Form einen nicht gedanklichen
Selbstsinn
nennen, der alle Eindrücke im Bewusstsein so einfärbt, dass man sie als zu sich gehörig empfindet. Diesen Selbstsinn könnten sogar schon Kleinkinder haben und selbst Tiere, die sich nicht im Spiegel erkennen. Angloamerikanische Wissenschaftler bezeichnen diesen Selbstsinn manchmal mit dem Ausdruck «me-ness» oder «mine-ness», also als die «Zu-mir-Gehörigkeit» oder «Meinigkeit» meiner Erlebnisse. Metzinger vermutet, dass unser gefühlter Körper zu diesem Selbstsinn beiträgt.
    Aus dieser These scheint zu folgen, dass unser Selbstsinn verschwinden oder sich zumindest verringern müsste, sobald wir unser Körpergefühl verlieren. Dafür spricht unter anderem, dass Christina, eine Patientin des englischen Neurologen Oliver Sacks, die an der gleichen sensorischen Nervenstörung wie Waterman leidet, von sich sagt, sie habe ihr «Ich-Gefühl» und ihre «Individualität» durch ihre Krankheit verloren. Allerdings ist Waterman nun gerade ein Gegenbeispiel zu der Annahme, dass der Selbstsinn ans Körpergefühl gebunden ist, denn er hat ein besonders ausgeprägtes Ich-Gefühl. Sein Arzt Cole vermutet daher, dass eher das Temperament und nicht das Körpergefühl bei beiden den Unterschied macht: Waterman ist agil, während Christina eher lethargisch ist. Wie genau Körpergefühl und Selbstsinn ineinanderfassen, bleibt weiterhin ungeklärt, vor allem, weil es schwierig ist, nach dem Selbstsinn zu fragen. Was würde es heißen, das Gefühl von Individualität zu verlieren? Oder die eigenen Erlebnisse nicht mehr als eigene Erlebnisse zu erleben?
    Auf der Suche nach dem Zusammenspiel von Körpererleben und der Zu-mir-Gehörigkeit unserer Erlebnisse stießen Psychologen und Neurowissenschaftler auf noch eigenartigere Störungen.

Raus aus dem Körper
    Meist geschieht es im Halbschlaf oder bei epileptischen Anfällen. Einige Personen haben dann den Eindruck, sie verlassen ihren Körper. Oft «entweichen» sie durch den Mund oder die Schädeldecke. Sie fühlen sich leicht und meinen, durch den Raum zu schweben. Dabei haben die Betroffenen den Eindruck, als sähen sie ihren eigenen Körper schlafend im Bett liegen. Der deutsche Neurologe Olaf Blanke hat Daten über diese «out-of-body experiences» gesammelt, also über
außerkörperliche Erfahrungen
. In vielen Kulturkreisen ist dieses Phänomen bekannt und Teil der religiösen Folklore. Es scheint die esoterische Annahme zu bestätigen, dass sich der Geist vom Körper loslösen kann, besonders weil die Betroffenen den Raum aus der neuen Perspektive zu sehen glauben. Ein Epileptiker hatte während eines Anfalls eine außerkörperliche Erfahrung. Ihm war, als schwebe er mitsamt seiner Frau und dem Fernsehsessel nach oben und blicke auf den Raum hinab. Äußerst detailliert beschrieb er danach das Wohnzimmer, von der Decke aus betrachtet.
    Natürlich verlassen die Personen nicht buchstäblich ihren Körper. Vielmehr erleben sie eine komplexe Ganzkörperillusion. Bei einigen Epileptikern konnten Blanke und seine Kollegen die außerkörperlichen Erfahrungen wiederholen. Dazu verwendeten sie wiederum die transkranielle Magnetstimulation. Mit einem Instrument, das einer Verkehrskelle ähnelt, erzeugten sie ein schnell wechselndes Magnetfeld, mit dem sie von außen dasjenige Hirnzentrum künstlich aktivierten, das auch bei den Anfällen aktiv war. Blankes Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine Störung des Gleichgewichtssinns bei der außerkörperlichen Erfahrung eine Rolle spielt. Spannend an der Illusion ist, wie sehr der menschliche

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