Folge dem weißen Kaninchen
Krankenhaus kommt er wieder zu Bewusstsein. Doch eine Woche später hat Onkel Toby einen Schlaganfall. Sein Hirn ist mit Sauerstoff unterversorgt. Er fällt in ein
Wachkoma
, ist also in einem
vegetativen Zustand
. Die Ärzte können im Haupthirn keine relevante Aktivität mehr messen. Herz und Lunge arbeiten zwar noch, aber schon bald bekommt Onkel Toby eine Lungenentzündung. Die Verwandten entschließen sich, ihn nicht behandeln zu lassen.
Onkel Toby ist dann zwei Tode gestorben: zuerst den
Herztod
, denn er war für einige Zeit «klinisch tot», wie es manchmal heißt. Sein Herz hat nicht mehr geschlagen, und er hat nicht mehr geatmet. Wären die Sanitäter nicht rechtzeitig eingetroffen, wäre er an diesem Herzkreislaufstillstand gestorben. Nach dem Schlaganfall hingegen erlitt er den
Hirntod
: Er hörte auf, eine Person zu sein, obwohl noch wochenlang warmes Blut durch seinen Körper floss.
Man kann den Tod an einem dieser beiden Merkmale festmachen, nämlich an den
Vitalfunktionen
, also Atmung, Herzschlag und Stoffwechsel, oder am
Bewusstsein
einer Person. Beide Merkmale fielen in der Vergangenheit fast immer zusammen, denn sobald die Vitalfunktionen aussetzten, hörte auch das Bewusstsein auf zu arbeiten.
Durch die moderne Medizin kann man jedoch den Hirntod vom Herztod abkoppeln. Intuitiv halten wir Menschen für lebend, wenn sie einen warmen Körper haben. Das sitzt stammesgeschichtlich so tief in unserer Kategorisierung der Welt, dass wir uns zunächst dagegen wehren, einen Menschen mit schlagendem Herzen für tot zu erklären. Der Umgang mit unheilbaren Komapatienten führt daher weltweit zu heftigen ethischen Debatten, denn es fällt uns schwer, unseren Begriff eines körperlichen Todes mit dem eines Todes des Bewusstseins zur Deckung zur bringen.
Allerdings kennen wir die Loslösung des einen vom anderen schon aus Märchen und Filmen: Darin haben Geister ein Bewusstsein, aber keinen Körper, und Zombies einen Körper, aber kein Bewusstsein. Diese Unterscheidung ist noch an anderer Stelle relevant: Wer beispielsweise an Demenz erkrankt, verliert nach und nach seine Vernunft und alle Merkmale seiner Persönlichkeit. Doch die Empfänglichkeit für Sinnesreize bleibt bis zum Schluss. Das unterscheidet den Demenzkranken vom Menschen im Wachkoma. Der fortgeschrittene Demenzkranke ist ein empfindendes Wesen ohne Vernunft. Der Wachkomapatient ist nicht einmal mehr das.
Heute gehen viele von einer dritten, noch präziseren Todesdefinition aus: Der Tod ist das
unumkehrbare Ende
der Lebensfunktionen. Der Grund ist folgender: Es könnte ja sein, dass die Verwandten Onkel Toby nach seinem Ableben in einen Behälter mit flüssigem Stickstoff überführen lassen. Angenommen, in weiter Zukunft haben Mediziner die Fähigkeit, Hirnschäden vollständig zu reparieren: Dann könnte Onkel Toby wieder zum Leben erwachen. Tot zu sein heißt also weder, nicht mehr zu atmen, noch, kein Bewusstsein mehr zu haben, denn beides könnte nach einem zeitweiligen Aussetzen zurückkehren. Erst wenn das ausgeschlossen ist, kann man wirklich vom «Tod» sprechen.
Wer glaubt, diese Wiederbelebungsphantasien fänden sich nur im Genre der Science-Fiction, wie in der Zeichentrickserie
Futurama
, der irrt. Schon heute liegen Hunderte Menschen in Stickstoffbehältern verwahrt, oder «suspendiert», wie es in der Sprache der
Kryoniker
heißt, deren Name sich von altgriechisch «kryos» für «kalt» herleitet. Vor allem in Amerika bieten Privatunternehmen gegen eine Mietpauschale an, Menschen nach ihrem Tod so lange kühl zu lagern, bis man sie wieder ins Leben zurückholen kann. Waren es in den sechziger Jahren noch die ganzen Körper, bewahren die Experten heute nur noch die Hirne der Verstorbenen in kochtopfartigen Behältern auf. Sollte die Wiederbelebung gelingen, wird es Fälle geben, in denen Menschen nicht mehr leben und trotzdem nicht tot sind.
Nicht mehr atmen, nicht mehr denken, nicht mehr da sein: Diese drei Charakteristika klingen, als würden Philosophen über drei verschiedene Todesbegriffe streiten. Doch bei genauerer Betrachtung haben wir alle denselben vorwissenschaftlichen Begriff: Wer tot ist, steht nicht mehr auf und kommt niemals wieder. Die moderne Naturwissenschaft kann lediglich die biologischen Bedingungen für das unumkehrbare Ende genauer bestimmen und daher den alltäglichen Todesbegriff präzisieren.
Sterben und leben lassen
In den USA , einem demokratischen Rechtsstaat, sitzen über 3000 Menschen im
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