Folge dem weißen Kaninchen
viele Probanden eine Höllenangst während der Experimente. Konfrontiert mit Erscheinungen wie dem leibhaftigen Teufel, verließen einige panikartig die Sitzung. Die Placebo-Befürworter und Gott-Helm-Kritiker müssten also behaupten, dass pure Einbildungskraft zu diesen Erlebnissen geführt hat. Der Effekt ist also in jedem Fall erstaunlich, ganz gleich, ob ihn Gedanken oder Magnetfelder herbeigeführt haben.
Vermutlich neigen Menschen ohnehin dazu, ganz unterschiedliche Erlebnisse als Stütze ihrer religiösen Welterklärungsmodelle anzunehmen. Persinger beschreibt nur einen Aspekt spiritueller Erfahrung, nämlich die oft als bedrohlich empfundene «Präsenz» eines höheren Wesens. Viele Mystiker und buddhistische Mönche spüren aber eher ein angenehmes «Einswerden» mit einer höheren Macht oder eine «Auflösung» ihrer Körpergrenzen. Der amerikanische Neurologe Andrew Newberg verfolgt deshalb einen anderen Ansatz. Mit Hilfe bildgebender Verfahren konnte er zeigen, dass sich bei der Meditation buddhistischer Mönche auch in anderen Gehirnregionen die Aktivität ändert, und zwar im Scheitellappen. Dort vermuten Forscher den Sitz des Gefühls für unsere Körpergrenzen. In Gebeten und Meditationen kann die Aktivität in dieser Region schlagartig abnehmen und so eine Körperillusion erzeugen: Die Meditierenden fühlen nicht mehr, wo sie aufhören und die restliche Welt anfängt. So haben sie den Eindruck, sie würden eins mit allem.
Auch Drogen können spirituelle Gefühle erzeugen. Weltweit sind Rauschmittel Bestandteil religiöser Rituale. Der amerikanische Psychologe William James und seine Kollegen beschrieben vor mehr als hundert Jahren, wie Lachgas, Äther oder Alkohol mystische Erlebnisse verursachen können. Ein anderes Beispiel: Amazonas-Indianer trinken einen halluzinogenen Tee, der Dimethyltryptamin ( DMT ) enthält, einen Stoff, der ähnlich wie LSD wirkt, jedoch auch vom menschlichen Körper produziert wird. Schon Alexander von Humboldt hatte am Ende des 18 . Jahrhunderts DMT -haltige Pflanzen von seiner Südamerikareise mitgebracht. Der amerikanische Psychiater Rick Strassmann spritzte Freiwilligen eine konzentrierte Dosis dieses Mittels und bescherte ihnen so starke psychedelische Erlebnisse. Die Versuchspersonen hatten den Eindruck, sie wechselten in andere «Sphären», die von Außerirdischen, Elfen oder Rieseninsekten bevölkert waren. Einige dieser Wesen waren freundlich und liebevoll, andere verstümmelten oder vergewaltigten ihre «Besucher». Viele der Probanden hatten auf DMT auch ein ganz allgemeines Gefühl von «Zeitlosigkeit», «Glückseligkeit» oder des Verschwimmens von «Gegensätzen». Strassmann hält DMT daher für das Mystik-Molekül.
Ob diese besonderen spirituellen Erlebnisse der Schlüssel zum Verständnis von Religionen sind, bleibt dennoch fraglich, denn viele Menschen sind weltweit religiös, ohne extreme Erfahrungen zu machen. Sie beschreiben ihre Spiritualität eher als eine undeutliche Ahnung oder ein Vertrauen auf eine höhere Kraft.
Spiritualität ist zudem nicht dasselbe wie religiöser Glaube, auch wenn viele Wissenschaftler das suggerieren. Wer einen Gott-Helm aufsetzt, hat andere Erlebnisse als jemand, der in die Kirche geht. Und die DMT -haltigen Hautdrüsensekrete der berüchtigten Aga-Kröte abzulecken erzeugt andere Erlebnisse als das Beten. Bei vielen Religionen kommen zu spirituellen Gefühlen noch andere Elemente hinzu, nämlich ganz konkrete Annahmen über die Entstehung oder die Ordnung der Welt, die Anerkennung einer Autorität und das Hoffen auf einen höheren Sinn. Diese Elemente folgen nicht aus neblig-mystischen Empfindungen, sondern aus komplexen Gedankengängen. Vielen Theisten reicht die bloß gefühlte Ahnung des Göttlichen ohnehin nicht aus, sie würden Gottes Existenz gerne beweisen. Aber kann man das?
Gottesbeweise
Ob Gott existiert, ist eine
metaphysische
Frage. «Metaphysisch» heißt nicht «übersinnlich» oder «unwissenschaftlich», sondern bezeichnet eine Teildisziplin der Philosophie, in der es um die allgemeinste Beschaffenheit der Welt geht, zum Beispiel um Raum und Zeit oder darum, was Naturgesetze sind. Fragen nach der Existenz oder dem Ursprung des Weltalls sind klassische metaphysische Fragen. Sie gehören nicht zu den
empirischen
Wissenschaften, weil naturwissenschaftliche Methoden darauf keine Antwort liefern können. Viele metaphysische Kategorien sind ja gerade Voraussetzung für Beobachtungen oder
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