Folge dem weißen Kaninchen
erschaffen und wer denjenigen, der Gott erschaffen hat? Und so weiter. Das ist der Haken am kosmologischen Argument. Bei näherer Betrachtung ist es also weder ein Argument für die Entstehung des Universums noch ein Beweis der Existenz Gottes. Es überzeugt nur diejenigen, die sich nicht im Klaren darüber sind, was eigentlich eine Begründung ausmacht.
Hier kommt eines der wichtigsten Prinzipien der Wissenschaft ins Spiel:
Ockhams Rasiermesser.
Dem mittelalterlichen Philosophen Wilhelm von Ockham schreibt man den Ausspruch zu: «Man soll Seiendes nicht ohne Not vermehren», oder kürzer: «Die einfachste Erklärung ist die beste.» Einfach ist eine Erklärung vor allem, wenn sie mit wenigen Annahmen auskommt. Man drückt dieses Prinzip oft im Vokabular des Geldhandels aus. Begründungen sollen
sparsam
sein, denn wer eine Annahme macht, ist seinem Gegenüber die Begründung
schuldig
. Wer zum Beispiel behauptet, Zeus schleudere Blitze, ist in der Pflicht, zu zeigen, dass dieser olympische Gott existiert. Und wer behauptet, Blitze seien elektrische Entladungen, muss nachweisen, dass Elektronen existieren.
In diesem Sinne fragte das Nachrichtenmagazin
Der Spiegel
in einem Interview im Mai 2007 : «Bei wem liegt die Beweislast für die Existenz oder Nichtexistenz Gottes?» Walter Brandmüller, damals führender Historiker des Vatikans, antwortete so: «Die liegt nun in der Tat beim Atheisten. Sie staunen? Ich meine, aber, doch! Denn: Wenn ich die Existenz eines unendlichen Geistes, aus dessen Gedanken und Willen die gesamte Wirklichkeit hervorgegangen ist, leugne, dann muss ich doch wohl erklären können, wieso dann Welt und Mensch überhaupt existieren … Insbesondere aber müssten Sie erklären, wie es denn kommt, dass menschliche Vernunft und Makro- wie Mikrokosmos so aufeinander- beziehungsweise ineinanderpassen wie Schloss und Schlüssel. Das heißt, wie es möglich ist, dass Astronauten zu einem präzisen Zeitpunkt auf einem genau bestimmten Planquadrat des Mondes landen können.»
Diese Antwort offenbart gleich mehrere Probleme. Der erste Teil greift eine Frage von Leibniz auf, nämlich warum es eher
etwas
als
nichts
gebe. Die Existenz eines «unendlichen Geistes» beantwortet diese Frage allerdings nicht, sondern vergrößert nur noch die Unklarheit. Wenn man etwas erklärt, dann will man immer etwas Unklares, Komplexes oder schlecht Verstandenes durch etwas ersetzen oder beschreiben, das klarer, einfacher oder besser verstanden ist. Die Annahme eines göttlichen Geistes dreht diese Abhängigkeit aber um. Das Argument beruht auf einem Fehlschluss, der in der Philosophie traditionell
obscurum per obscurius
heißt, nämlich etwas Dunkles, Obskures durch etwas zu ersetzen, das noch dunkler und obskurer ist. Niemand weiß, wie das Universum entstanden ist. Es hilft aber nicht weiter, wenn man zu diesem Rätsel noch einen «unendlichen Geist» auf den Plan ruft, aus dessen Wille und Vorstellung die Welt hervorgebrochen ist. Denn entweder man unterstellt, dass alles erschaffen sein muss. Das gilt dann aber auch für den Erschaffergott selbst. Oder man will die Erklärungskette durch einen
unbewegten Beweger
dogmatisch abbrechen. Aber das kann man schon früher tun. In diesem sparsamen Fall hat man das Universum und das ungelöste Rätsel seiner Entstehung. Im anderen Fall hat man das Universum, Gott, das Rätsel seiner Entstehung und die willkürliche Behauptung, er sei der Erschaffer des Universums. Die sparsamere Variante ist auch die redlichere. Es ist besser zuzugeben, dass es keine Erklärung geben kann, als vollkommen beliebig zu behaupten, es existiere ein höheres Wesen. In Quentin Tarantinos Film
Kill Bill
aus dem Jahr 2003 sagt der Waffenschmied zur Hauptfigur Beatrix Kiddo, ihr Samuraischwert sei so scharf, dass selbst Gott sie nicht aufhalten könne. Ockhams Klinge ist noch schärfer. Sie schneidet Gott komplett aus dem Film heraus.
Der zweite Teil von Brandmüllers Antwort hat überhaupt nichts mit der ursprünglichen Frage zu tun. Wir wissen ziemlich genau, wie es zur Mondlandung kommen konnte. Die technische Anwendung der Erkenntnisse über Gravitation, Impulserhaltung, elektromagnetische Wellen und andere Naturphänomene hat die Landung ermöglicht. Die Vorstellung, es bräuchte einen göttlichen Geist, damit der Mensch seine Denkfähigkeit nutzt, klingt schon fast nach dem
teleologischen Argument
, das besagt: «Alles hat einen höheren Sinn oder Zweck. Gott muss existieren, denn nur er
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