Folge dem weißen Kaninchen
Modelle, während die anderen hoffen, sie fänden im naturwissenschaftlichen Weltbild Lücken, in denen ihr besonderes Gefühl Platz hat.
Spiritualität im Hirn
Auf der Suche nach den Grundlagen spiritueller oder mystischer Erfahrungen dringen Wissenschaftler seit einigen Jahrzehnten immer tiefer in unsere Hirnwindungen vor. Der amerikanische Neurologe Michael Persinger berichtet von einer Patientin, der Eigenartiges widerfuhr. Tief in der Nacht spürte die erfolgreiche Akademikerin immer wieder die Gegenwart eines Wesens, das ihre Gebärmutter stimulierte. Manchmal vermeinte sie dabei die Umrisse eines Babys oberhalb ihrer linken Schulter wahrzunehmen. Die Patientin war sich sicher, dass sie «auserwählt» war. Kein Psychiater konnte ihr helfen. Persinger und seine Kollegen fanden heraus, dass hier nicht Geister oder Gott am Werk waren, sondern ein schlichter Nachttischwecker. Die elektronische Uhr hatte ein schwaches Magnetfeld erzeugt, das die Melatonin-Ausschüttung im Gehirn der Patientin hemmte und so epileptische Anfälle begünstigte. Diese Anfälle waren die Grundlage für ihre bizarren körperlichen Halluzinationen.
Epileptische Anfälle werden in Neuronenhaufen durch synchrone elektrische Entladungen verursacht, die sich ungehemmt ausbreiten. Nicht jeder Epileptiker hat Halluzinationen. Patienten, deren Entladungsherd in den Schläfenlappen liegt, haben jedoch besonders oft spirituelle oder mystische Erfahrungen. Selbst gesunde Menschen mit einem überdurchschnittlich empfindlichen Schläfenlappen können durch Veränderungen im Magnetfeld Gruseliges erleben. Persinger berichtet von einem jungen Paar, das nachts im gemeinsamen Schlafzimmer fremde Atemgeräusche hörte und eine Erscheinung sah, die sich auf ihr Bett zu bewegte. Persingers Kollegen fanden heraus, dass die elektrischen Leitungen des Hauses schlecht geerdet waren und so komplexe Magnetfelder erzeugten. Mit der Erdung verschwand auch der Poltergeist – ein Happy End, das man den Protagonisten vieler Horrorfilme gewünscht hätte.
Der Zusammenhang zwischen Magnetfeldern und Epilepsie ist schon seit Jahrzehnten bekannt. Das Erdmagnetfeld ist täglichen Schwankungen unterworfen. Liegt es in einem bestimmten mittleren Bereich, steigen epileptische Anfälle deutlich an. Deshalb kam Persinger auf die Idee, die Felder im Labor künstlich zu erzeugen. Dazu konstruierte er einen
Gott-Helm
, einen gelben Motorradhelm, in dem durch elektrische Spannung ein schwaches Magnetfeld entsteht. Hunderte Versuchspersonen hat Persinger so in seinem Labor auf einen spirituellen Pfad geschickt. Einige «spürten» die Präsenz von Dämonen, andere von den Geistern ihrer Vorfahren, von Außerirdischen und viele von Gott selbst. Der Wissenschaftstheoretiker Michael Shermer berichtet, wie er die aufkeimenden mystischen Gefühle nur mit Mühe unterdrücken konnte. Bei dem englischen Evolutionsbiologen und leidenschaftlichen Atheisten Richard Dawkins tat sich allerdings gar nichts. Persinger erklärt das mit Dawkins’ schwacher Empfänglichkeit im Schläfenlappen.
Der indische Neurowissenschaftler Vilayanur S. Ramachandran konnte zeigen, dass Menschen mit Schläfenlappensensitivität auch deutlich stärker auf religiöse als auf sexuelle Reizwörter oder Zeichen reagieren. Bei der Vergleichsgruppe von unempfindlichen Testpersonen war es umgekehrt. Als man Nonnen des Karmelitenordens bei der Meditation untersuchte, fand man ebenfalls eine erhöhte Aktivität in dieser Region.
Daraus folgt allerdings nicht, dass Gott in den Schläfenlappen schlummert, sondern vielmehr, dass dort vermutlich eine der vielen Formen von Spiritualität ihren Sitz hat. Die Versuchspersonen meinten ein fremdes Wesen zu spüren und haben das dann zu Gott gemacht, das Erlebnis also ganz automatisch in ihr Weltbild eingepasst. Dabei hängt es von der kulturellen Prägung ab, wie diese Einpassung vonstatten geht. Die spirituelle Süditalienerin deutet ihre Erfahrung beim Gebet vielleicht als die Nähe der Heiligen Jungfrau Maria, während der jemenitische Sufi durch Verinnerlichung etwas spürt, das er als die Anwesenheit Allahs beschreibt. Bei Dämonen oder Außerirdischen hat sicherlich Hollywood stilbildend gewirkt. Der Gott-Helm ist also eher ein Spiritualitätsverstärker. Persingers Ergebnisse sind noch umstritten. Eine schwedische Forschergruppe konnte sie nicht wiederholen und vermutet daher einen
Placebo-Effekt
. Aber auch ein Placebo-Effekt ist ein Effekt. Immerhin hatten
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