Folge dem weißen Kaninchen
«Universum». Wer sagt, das Universum sei mit Gott identisch, den möchte man fragen, ob er eine Sprachreform plane: Will er das Wort «Universum» durch das Wort «Gott» ersetzen? Zugegeben, die Vorstellung, selber göttlich zu sein, ist herzerwärmend. Aber da die Menschen Teil des Weltalls sind, hätte das die eigenartige Folge, dass Gläubige sich selbst anbeten. Pantheisten weichen manchmal so aus: Gott ist das Ordnungsprinzip oder die Urkraft des Universums. Doch das hat noch weniger mit dem Gottesglauben zu tun. Religiöse Menschen beten nicht das Gravitationsgesetz an oder das Periodensystem der Elemente. Der Pantheismus ist eine Art Ehrfurcht vor oder Faszination gegenüber den unendlichen Weiten des Weltraums, aber kein echter Glaube.
Man kann auch behaupten, dass alle Religionen eigentlich demselben Gott huldigen, nur eben auf unterschiedliche Weise. Das ist jedoch allenfalls ökumenische Lagerfeuerromantik. Brahman ist nicht Wotan, Zeus ist nicht Allah, und Jahwe ist nicht Manitu. Selbst bei den nahe verwandten abrahamitischen Religionen lassen sich die Götter nicht überblenden. Christen glauben, Gott habe seinen Sohn auf die Erde geschickt, damit er für unsere Sünden stirbt. Für Muslime ist Jesus aber nur einer von vielen Propheten, und für Juden ist er weder Prophet noch Gottessohn. Gott kann nicht gleichzeitig einen und keinen Sohn gehabt haben. Mindestens eine der Positionen muss also falsch sein. Daraus folgt selbstverständlich nicht, dass die anderen wahr sind. Zwei einander widersprechende Positionen können zwar nicht gleichzeitig wahr, aber dafür gleichzeitig falsch sein.
Monotheisten beschreiben Gott auf zwei Arten: als
Übermenschen
oder als abstraktes
unvorstellbares Wesen
. Der personale Gott, der zürnt, zuhört und vergibt, ist nach dem Modell des Menschen ins Unendliche gesteigert. Er hat unendlich viele Sinnesorgane, unendliches Wissen und unendliche Macht. Nur: Wie zwängt er der Welt seinen Willen auf, wenn er selbst nicht Teil der Welt ist? Unserem menschlichen Tun und Wahrnehmen liegen kausale Prozesse innerhalb der Welt zugrunde. Wenn wir etwas sehen, treffen Lichtstrahlen auf unsere Netzhaut. Aber Gott ist außerhalb der Welt. Hat er eine Riesennetzhaut, oder braucht er keine? Hier wechselt die erste Vorstellung oft unmerklich in die zweite über: Gott als abstraktes Wesen, als Macht, als unendlicher Geist. Nur: Abstrakta wie beispielsweise geometrische Formen können nichts in der Körperwelt verursachen, denn sie sind nicht in Raum und Zeit ausgedehnt. Wie kann also Gott abstrakt sein und dennoch etwas in unserer konkreten Welt ausrichten?
Diese Frage bleibt auch dann drängend, wenn man den alttestamentarischen Gott mit seiner allzumenschlichen Rachsucht und Eitelkeit außen vor lässt. Nach Auffassung vieler moderner Christen ist der Gott des
Neuen Testaments
allmächtig, allwissend und allgütig. Aus diesen drei Eigenschaften folgt jedoch das Problem der
Theodizee
, also der Rechtfertigung Gottes angesichts des Bösen in der Welt. Wenn Gott nämlich ohne Einschränkung Gutes tun will, tun kann und auch weiß, wie es geht, dann dürfte es auf der Welt kein Leid geben. Vielleicht ist der Mensch frei erschaffen worden und deshalb an seinem Unglück selbst schuld. Aber diese Überlegung ist schwer auf Naturkatastrophen oder den Tod unschuldiger Kinder anwendbar. Und selbst wenn der Mensch für einige Theologen frei ist: Warum hat Gott ihn nicht gleich mit genug Vernunft ausgestattet, um all die Katastrophen vorherzusehen und sich selbst so im Griff zu haben, dass er fromm und rechtschaffen ist? Es könnte natürlich sein, dass Gott gar nicht allmächtig ist. Diese Lösung des Theodizee-Problems schlagen Theologen erstaunlicherweise selten vor, obwohl schon die mittelalterliche Philosophie vermutete, dass der Begriff der Allmacht widersprüchlich ist: Kann Gott einen Stein erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn selbst nicht heben kann? Ganz gleich, ob man die Frage mit «ja» oder «nein» beantwortet, sie rüttelt an der himmlischen Omnipotenz.
Für viele monotheistische Religionen vereint Gott mehrere Aspekte: Er ist der Schöpfer der Welt, eine moralische Autorität, ein unendlicher und unbegreiflicher Geist, jemand, der dem Leben einen Sinn gibt, und eine Art weiser Vater, der einem zuhört, wenn es sonst niemand tut. Braucht man ein solches Wesen, um religiös zu sein? Bevor man Gott genauer unter die Lupe nimmt, muss man fragen, was es überhaupt heißt,
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