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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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die wunderliche Geschichte von Marias jungfräulicher Geburt, nachdem der Heilige Geist über sie gekommen ist.
    Nicht jeder glaubt an Wunder, aber viele verlassen sich immerhin auf ein
Autoritätsargument
, nämlich dass die klügsten Denkerinnen und Denker der Geschichte religiös waren. Dawkins verwendet viel Mühe darauf, diesen Mythos zu entlarven. Nur weil Albert Einstein das Wort «Gott» in einigen Beispielen verwendet hat, war er nicht gläubig. Im Gegenteil, er hat sich vehement gegen diese Vereinnahmung gewehrt. Tatsächlich sind nur wenige Nobelpreisträger gläubig. Und selbst wenn Einstein an einen personalen Gott geglaubt hätte, machte das Gott genauso wenig real wie die vom Mesmerismus behauptete Heilkraft der Magnete, an die beispielsweise der kluge Schopenhauer glaubte. Bei Autoritätsargumenten handelt es sich schlichtweg um Fehlschlüsse.
     
    Bleibt noch der direkte Draht zu Gott. Hat er nicht immer wieder zu Auserwählten gesprochen? Man fragt sich, warum diese Unterredungen stets im stillen Kämmerlein stattfanden und nie vor großem Publikum. Aber Gottes Kommunikationswege sind so unergründlich wie sein soziales Netzwerk. Immerhin behauptet ein ehemaliger US -Präsident, Gott persönlich habe ihm einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak empfohlen, bei dem nach Schätzungen über 100 000 Zivilisten starben. Für diese Aussage kann man natürlich Gott nicht verantwortlich machen, aber sie verdeutlicht die Beliebigkeit dieser Erkenntnisquelle.
    Ein altes Bonmot sagt: «Wenn du zu Gott sprichst, dann ist das ein Gebet. Wenn Gott zu dir spricht, dann ist das Schizophrenie.» Im
Neuen Testament
steht passend dazu: «Wenn sie euch nun hinführen und übergeben werden, so macht euch vorher keine Sorgen, was ihr reden sollt; sondern was euch in dieser Stunde eingegeben wird, das redet. Denn ihr seid’s ja nicht, die reden, sondern der Heilige Geist.» Für die englischen Psychiatrieprofessoren Simon Mullins und Shaun Spence ist das eine präzise Beschreibung schizophrener Gedankeneingebung. Schizophrene leiden nämlich nicht an einer «gespaltenen Persönlichkeit», wie es manchmal im Volksmund heißt, sondern sie haben außer Wahnvorstellungen starke Halluzinationen, die oft verbal sind. Viele haben den Eindruck, ihre Gedanken stammten nicht von ihnen, sondern wären irgendwie in ihren Kopf gesendet worden, unter anderem von Gott. Einige Wissenschaftler vermuten, dass Schizophrene, ohne es zu merken, leise vor sich hin murmeln und dann ihre eigene Stimme als fremde wahrnehmen. Wie im Gott-Helm-Experiment deuten sie das eigenartige Gefühl der Fremdheit dann rückwirkend um. Je nach kultureller Prägung wählen die Betroffenen als Quelle der Stimmen mächtige Wesen wie Gott und Außerirdische oder das dominierende Elektrogerät ihrer Epoche: Radio, Fernseher, Computer.
     
    Auch Noah, Abraham und Moses haben Stimmen gehört. Hat Gott persönlich zu Ihnen gesprochen? Wenn heute jedenfalls jemand behauptet, Gott habe ihm befohlen, seinen Sohn zu töten, dann würden wir ihn eher in Behandlung schicken, als ihn als Heiligen oder Propheten zu verehren. Nach christlicher Auffassung ist das
Neue Testament
vom Heiligen Geist diktiert. Vermutlich ist auch hier die Situation etwas anders. Markus, Matthäus, Lukas und Johannes litten nicht an verbalen Halluzinationen, sondern sie und nicht der Heilige Geist waren die tatsächlichen Ghostwriter: Sie haben die Geschichten selbst erfunden, auch wenn jemand anders dafür all den Ruhm eingestrichen hat.
     
    Wer also spirituelle Gefühle hegt oder Gottes Stimme hört, der muss sich immer fragen, ob er ein ganzes Weltbild darauf aufbauen möchte. Ron Howards Film
A Beautiful Mind
aus dem Jahr 2001 zeigt, wie der Ökonomienobelpreisträger John Nash mit seiner Schizophrenie umgeht. Er sieht Personen, weiß aber, dass sie nicht existieren, weil sie über die Jahre nicht gealtert sind. Das ist sicherlich filmisch zugespitzt, aber es zeigt, dass manchmal die Vernunft doch Oberhand über die Unvernunft behalten kann.
     
    Einige Gläubige wollen sich aber auf eine rationale Argumentation gar nicht erst einlassen. Sie wählen eine von zwei Rückzugspositionen. Die erste sagt: «Natürlich
weiß
ich nicht, ob Gott existiert, deshalb
glaube
ich ja an ihn und
hoffe
auf das Himmelreich.» Aber das ist eine sprachliche Selbsttäuschung. «Glauben» heißt «für wahr halten». Wenn ich glaube, dass sich die Erde um die Sonne dreht, dann halte ich es auch für wahr.

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