Folge dem weißen Kaninchen
freien Falls.
Maher mahnt sein Publikum eindringlich, an Religionen zu zweifeln, und fordert die überzeugten Atheisten auf, sich öffentlich zu bekennen. Dawkins argumentiert manchmal so, als handele es sich beim Theismus um eine Position, die man rein naturwissenschaftlich widerlegen könne. Doch der Begriff des Zweifels ist noch zu schwach, und die Empirie kann nur Teile des theistischen Gedankengebäudes zerstören. Die einzig vernünftige Haltung ist, metaphysische Behauptungen so lange vehement als willkürlich zu bestreiten, bis Argumente für sie sprechen. Als der Philosoph und Literaturnobelpreisträger Bertrand Russell einmal gefragt wurde, was er als Atheist sagen würde, wenn er nach seinem Tod Gott von Angesicht zu Angesicht gegenüberstünde, antwortete er: «Du hättest mir mehr Hinweise geben sollen.»
Viele glauben, man müsse Gottes Existenz annehmen, weil man sie nicht widerlegen kann. Aber wenn dem so wäre, dann müsste man auch die Existenz des fliegenden Spaghettimonsters annehmen, wie es der
Pastafarianismus
tut, eine parodistische Bewegung von Atheisten. Man müsste auch die Existenz des unsichtbaren rosa Einhorns mit den heiligen Hufen annehmen, das man leider nicht nachweisen kann, weil es eben unsichtbar ist.
Tugend ohne Gott
Hohe Kirchenvertreter und konservative Politiker behaupten in Talkshows gerne, dass unsere «westlichen Werte» aus dem Christentum stammen und daher die Gesellschaft ohne Gottesglauben in eine herzlose und egoistische Anarchie verfalle irgendwo zwischen Sodom, Gomorra, Römerorgie und Endzeitfilm. Das ist eine von den Behauptungen, von denen Karl Kraus gesagt hat, sie seien so falsch, dass selbst ihr Gegenteil falsch sei.
Zunächst: Keiner kann in der Diskussion genau sagen, was Werte sind. Manche denken dabei an preußische Sekundärtugenden wie «Ordentlichkeit» und «Pünktlichkeit», andere an universelle Normen wie das Tötungsverbot oder den Schutz der Menschenwürde. Und selbst wenn man unter «Werten» alle moralischen Grundsätze fasste, die wir gutheißen: Unsere Vorstellungen von Demokratie, Meinungsfreiheit oder der Gleichstellung von Mann und Frau stammen nicht aus der Bibel, sondern aus dem Humanismus, der Aufklärung und aus späteren Freiheitsbewegungen. Demokratie und Gleichberechtigung sind den meisten Religionen fremd. Der Vatikan ist eine der letzten absoluten Monarchien der Erde. Doch auch die tibetanische Mönchsherrschaft und fast alle islamischen Staaten sind weit von einer freiheitlich demokratischen Grundordnung entfernt. Frauen können nicht Päpstin, orthodoxe Patriarchin oder orthodoxe Rabbinerin werden und nur in äußerst seltenen Fällen Imam. Bisher war auch noch kein Dalai Lama weiblich. Als bekehrende Religion ging besonders das Christentum unerbittlich mit seinen Kritikern um. Diese Haltung entspringt dem Dogmatismus der Alternativlosigkeit. Erschreckend ist dieser Dogmatismus noch heute, wenn der Vatikan aus dem alttestamentarischen Bibelspruch «Seid fruchtbar und mehret euch» und Onans Koitusverweigerung ableitet, dass es eine Sünde sei, sich mit Kondomen vor HIV zu schützen – mit verheerenden Folgen für die überwiegend gläubigen Menschen in Afrika.
Natürlich muss man die Bibel gegen die Kirchengeschichte in Schutz nehmen. Aber selbst eine genaue Bibelkunde jenseits klerikaler Machtpolitik führt nicht zu den universellen Menschenrechten. In den Zehn Geboten steht nichts über den Schutz vor Folter oder vor Pädophilen. Dafür fällt unter die schlimmsten Vergehen der Ehebruch, der beispielsweise in Deutschland schon seit dem Jahr 1969 nicht mehr rechtlich sanktioniert wird.
Jesus hat Vergebung gepredigt und Mitgefühl gegenüber den Schwachen. Seinem Beispiel folgen noch heute viele aufopferungsvolle Gläubige in der Diakonie, in den Pflegeheimen und den internationalen Hilfswerken. Diese Form der Nächstenliebe kann man nur bewundern. Doch für Mitgefühl und Menschenliebe braucht man keinen Gott. Und in der moralischen Bilanz der christlichen Kirchengeschichte überwiegt leider der Schrecken bei weitem die Barmherzigkeit. Verallgemeinern lässt sich die neutestamentarische Nächstenliebe ohnehin nicht. Manche Verbrecher, fast ausschließlich Männer, haben so grausame Taten begangen, dass sie zu Recht lebenslang in Sicherungsverwahrung genommen werden. Aber nicht nur der Schutz der Gesellschaft verbietet hier zu vergeben. Auch die Normverletzung selbst und die Rechte der Opfer und der Angehörigen fordern
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