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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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eine Sühne der Tat.
     
    Das offensichtlichste Gegenargument gegen die These «Ohne Gott keine Moral» sind schlicht die Tatsachen. Viele Atheisten führen ein gutes und gesetzestreues Leben. Sie unterscheiden sich darin in keiner Weise von Gläubigen. Mehr noch: Wir leben in Europa heutzutage nach den höchsten ethischen und demokratischen Standards der Menschheitsgeschichte, und gleichzeitig gibt es so viele Atheisten wie niemals zuvor. Auch die Deutschen verrohen nicht und befinden sich nicht in einer vermeintlich moralischen «Orientierungslosigkeit», sondern sie werden immer friedlicher: Die Kriminalitätsrate ist in den letzten fünfzig Jahren kontinuierlich gesunken, übrigens parallel zur Rate der Neugetauften und der Kirchenmitglieder. Es wäre kühn, zwischen beiden Entwicklungen einen Kausalzusammenhang zu konstruieren, aber noch kühner ist es, die umgekehrte Beziehung zu behaupten.
    Der Philosoph Herbert Schnädelbach hat im Jahr 2000 durch den Artikel «Der Fluch des Christentums» in der Wochenzeitung
Die Zeit
eine hitzige Feuilletondebatte entfacht, ohne Gott überhaupt zu thematisieren. Die Empörung auf der Gegenseite war groß, die Gegenargumente fielen allerdings eher dürftig aus. Schnädelbach stellte vor allem klar, dass die christliche Ethik der Erbsünde eine Zumutung ist. Warum soll man allein schon aufgrund seiner Geburt ein Sünder sein? Die Bildgewalt von Hölle und Apokalypse steht dieser Zumutung in nichts nach. Dutzende Generationen haben, so Schnädelbach, «im Schatten dieser Panikvisionen» gelebt. Er schließt damit, dass der größte Segen des Christentums in dessen Verschwinden bestünde.
    Auf dem Weg dorthin ist unsere Gesellschaft schon lange, auch wenn viele Kleriker das noch herunterspielen. Für uns stehen die Menschenrechte über allen Religionen. Wir akzeptieren keine religiösen Lehren mehr, die die Gleichberechtigung, die Demokratie oder den Rechtsstaat in Frage stellen. Daran hat sich die christliche Kirche angepasst, genauso wie sie sich an die Wissenschaft angepasst hat, indem sie mittlerweile das heliozentrische Weltbild und die Evolutionstheorie akzeptiert. Und daran wird sich auch der Islam anpassen müssen. Aber wenn man den Konfessionen alles nimmt, was dogmatisch, irrational oder moralisch unzeitgemäß ist, dann bleibt keine Religion mehr übrig, sondern die moderne demokratische Wissensgesellschaft mit ihren Menschenrechten.
     
    Ökonomisch gesehen sind die Amtskirchen die erfolgreichsten Wirtschaftsunternehmen der Geschichte. Die Katholische Kirche ist die reichste Firma der Welt. Sie hat eine unverkennbare Corporate Identity, ein eingängiges Logo, und ihr CEO pflegt beste Kontakte zur Spitzenpolitik. Das Unternehmen bietet ein diversifiziertes Dienstleitungsprodukt an mit einer klaren Werbebotschaft: Verschreibe uns dein Leben, dafür bekommst du es nach deinem Tod mit Zins und Zinseszins zurück. Nur diese Form der Machtfülle und die Tradition können erklären, warum bekenntnisgebundene Theologie immer noch ein ordentliches Lehrfach an den Universitäten ist und nicht allein kritische Religionswissenschaft. Nur mit Blick auf Macht und Tradition ist es auch erklärbar, warum immer noch so viele Geistliche in Ethikräten und Ausschüssen sitzen oder zu Diskussionsrunden eingeladen werden, ohne eine moralphilosophische oder sonst eine Fachexpertise zu haben. Oft betonen die Kirchen ihre repräsentative Funktion mit dem Verweis auf gewaltige Mitgliedszahlen. Aber im Gegensatz zu anderen Clubs wie den politischen Parteien oder dem ADAC sind ihre Mitglieder nicht aktiv eingetreten, sondern von Geburt an automatisch dabei.
    Die Präsenz der Kirchen ist so alltäglich, dass wir diesen Umstand schon fast für naturgegeben halten, obwohl er unseren übrigen Einstellungen nicht entspricht. Ganz so, wie die Menschen vor gar nicht allzu langer Zeit es als natürlich ansahen, dass Frauen nicht wählen durften oder Menschen als Sklaven arbeiteten. Um von einer solchen Alltagsblindheit geheilt zu werden, braucht es manchmal Augenöffner wie Dawkins Beispiel, dass es keine jüdischen, christlichen oder muslimischen Kinder gibt, sondern allenfalls Kinder von Juden, Christen oder Muslimen. Denn es gibt ja auch keine liberalen, linken oder konservativen Kinder.
    Wenn also in Diskussionen Dogmen statt Argumente zählen und alte Männer auf den überholten Moralkodex alter Bücher verweisen, dann müssen die Ungläubigen in Zukunft noch deutlicher machen, dass dadurch ihre

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