Folge dem weißen Kaninchen
Nur so kann man Nebeneffekte und Fehlinterpretation ausschließen.
Viele Esoteriker wollen von Doppelblindstudien nichts wissen, sondern berufen sich auf die «lange Tradition» und das «alte Wissen», vornehmlich der östlichen Kulturen. Natürlich kann Wissen gut gesichert sein, weil es sich über Jahrhunderte bewährt hat. Doch nicht das Alter rechtfertigt eine medizinische Behauptung, sondern etwas anderes: die praktisch angewandte Langzeitstudie, die sich auch wiederholen lässt. Zu vielen esoterischen Theorien gibt es aber keine systematischen Studien. Und wenn eine These durch Studien nachgewiesen ist, dann ist es keine Esoterik mehr, sondern Medizin.
Zwar gilt in der Medizin: «Wer heilt, hat recht», weil sie zuallererst auf die Gesundheit zielt und erst dann auf ein tieferes Verständnis des Heilungsvorgangs. Aber ohne Überprüfung besteht die Gefahr, Zufälle für Effekte zu halten und vor allem wirksame mit unwirksamen oder gar gefährlichen Methoden zu verwechseln. Die Alchemie beispielsweise hat über Jahrhunderte bestanden und sich als kolossaler Irrweg herausgestellt.
Einen Heilungsprozess hat man erst dann richtig verstanden, wenn man weiß, was auf der Ebene der Moleküle passiert. Ein Beispiel: Anhänger der Homöopathie glauben, Stoffe hinterließen «Abdrücke» im Wasser, die selbst dann Wirkkräfte entfalten, wenn der Stoff nicht mehr nachweisbar ist. Diese wilde These hat niemand bisher nachweisen können, und sie steht im Widerspruch zu allen anderen gut untersuchten Naturvorgängen. Tatsächlich wirken nicht die «Abdrücke», sondern die ganze Situation: Die Überzeugung, ein Heilmittel zu nehmen, aktiviert das Immunsystem. Beim Handauflegen entsteht ein ähnlicher Placebo-Effekt: Nicht die Hand überträgt magische Energien, sondern die Vorstellung, dass sich jemand kümmert, dass jemand da ist, verändert die Hormonausschüttung – mit nachweisbar positiver Wirkung. Bei Aspirin und Antibiotika ist das aber anders: Hier wirken nicht Gedanken und Vorstellungskraft, sondern die darin enthaltenen Substanzen. Dazu müssen die Versuchspersonen nicht einmal bei Bewusstsein sein.
Pseudowissenschaftler identifizieren die Wissenschaft allein mit dem Tatsachenwissen und sehen nicht, dass sie vor allem in der systematischen Methode liegt. So begründet sich auch der Spruch: «Die Medizin weiß nicht alles.» Natürlich weiß die Medizin nicht alles. Aber die anderen wissen nicht mehr, sondern weniger. Nur durch Experimente und Überprüfung kann man zu Erkenntnissen gelangen. Die Fehlersuche und Irrtumskontrolle sind in die Forschung schon eingebaut. Lücken im wissenschaftlichen Weltbild schließt man nicht mit unbelegten Behauptungen über «Auren» und «Energien», sondern mit Studien. Daher gibt es keine «alternative» Medizin, sondern nur Medizin. Die wissenschaftliche Methode ist alternativlos.
Unsere Neigung zur Pseudowissenschaft stammt aus zwei Eigenschaften des menschlichen Geistes, die man provisorisch das
Erkennungssystem für Verhalten
und das
Erkennungssystem für Ursachen
nennen kann. Für unsere Vorfahren war es evolutionär von Vorteil, am Verhalten anderer Wesen ihre Wünsche und Ziele abzulesen, denn zum einen konnte hinter jedem Busch ein Angreifer lauern, und zum andern war es wichtig, die anderen in der Dynamik der Gruppe zu verstehen. Ebenso überlebten eher diejenigen, die Ursache und Wirkung schon anhand weniger Beispiele erfolgreich korrelierten: Man muss die Hand nur einmal ins Feuer halten, um zu lernen, dass man sie sich dabei immer verbrennen wird.
Beide Mechanismen sind so fein justiert und hyperaktiv, dass sie oft über das Ziel hinausschießen. Daher vermenschlichen wir «Mutter Natur» mit ihren Zielen und Zwecken, und daher sehen wir Ursachen und Kräfte, wo keine sind, beispielsweise, wenn sich die Tür von «Geisterhand» schließt. Glücklicherweise haben wir in der Evolution auch die kritische Vernunft entwickelt, die uns erlaubt, unsere vorläufigen Einschätzungen zu überdenken.
Wir leben nur in einer Welt. Und die ist keine Konstruktion, sondern weitgehend so beschaffen, wie wir annehmen. Wir wissen viel, auch wenn wir uns alle hie und da täuschen. Wahrheit ist objektiv, denn ob der Inhalt eines Satzes oder einer Überzeugung wahr ist, hängt nicht von uns ab. Manchmal sind wir abergläubisch, und manchmal folgen wir dem Prinzip: «Wovon man nicht schweigen kann, darüber muss man sprechen.» Wir reden drauflos und nehmen dabei in Kauf,
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