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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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Zeit lagen beide, wie gesagt, nebeneinander, denn Kunst sollte schön sein. Spätestens seit der Moderne ist das nicht mehr der Fall. Im Verborgenen spielt der Schönheitsgenuss zwar irgendwie immer noch eine Rolle, doch die Wirkungen der Kunst sind vielfältiger geworden.

Darf Kunst schön sein?
    Als ich in der Oberstufe war, hatte ich mit einem Freund den Plan, ein «Kunstobjekt» im Sprengel-Museum in Hannover zu platzieren. Der Freund hatte den Bauch einer grünen Gießkanne mit Watte umwickelt und wie in einem Erpresserbrief mit ausgeschnittenen Buchstaben «Ich brauche Zärtlichkeit» daraufgeklebt. Wir wollten die Kanne am Wachpersonal vorbeischmuggeln und mit einem Hinweisschild in der Abteilung für Gegenwartskunst abstellen. Leider haben wir uns dann doch nicht getraut. Jahre später hatte einer meiner Brüder auf der Kunstausstellung
documenta
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spontan eine ähnliche Idee. In einem Raum hing ein Hinweisschild an der Wand, das zu einem Objekt in der Mitte des Raumes gehörte. Neben dem Schild befand sich ein kleines leeres Podest, sodass man glauben konnte, das Schild verweise darauf. Wie es der Zufall so wollte, hatte mein Bruder eine Postkarte mit Malerei der Aborigines in der Jackentasche. Er stellte sie kurzerhand auf das Podest. Schon bald begannen die ersten Besucher, die Karte zu fotografieren.
    Diese kleinen Späße stellen sicherlich nicht den zeitgenössischen Kunstbetrieb in Frage, aber sie zeigen etwas über unsere Auseinandersetzung mit moderner bildender Kunst: Unsere Reaktionen hängen ganz wesentlich davon ab, ob wir annehmen, dass es sich bei einem Objekt um ein Kunstwerk handelt. Das ist schwer zu erkennen, denn alles kann Kunst sein. Ein weiteres Beispiel: Zwei Mitglieder des SPD -Ortsvereins Leverkusen-Alkenrath haben im Jahr 1973 Joseph Beuys’ berühmte «Badewanne» saubergeschrubbt, die für eine Ausstellung in einem Abstellraum des Schlosses Morsbroich stand. Beuys hatte die Kinderwanne mit Mullbinden, Heftpflastern und Fett versehen. Laut Schrifttafel der Wanderausstellung wurde er als Kind darin gebadet. Ein Beuys-Kritiker hatte an einer früheren Station daruntergeschrieben: «Offenbar zu heiß.» Doch von alldem wussten die Genossen nichts, als sie ihre Feier in diesem Schloss veranstalteten und in der Wanne Bier kühlen wollten. Deshalb musste der Dreck runter. Eine teure Fehleinschätzung. Mit klassischer Kunst wäre ihnen das sicher nicht passiert. Niemand hätte auf der Party ein Ölgemälde als Tablett oder eine Marmorstatue als Kleiderständer missbraucht.
    Auch diese Geschichte zeigt: Der Rahmen muss stimmen. Erst wenn wir etwas im Kunstkontext, also in Ausstellungen von Museen und Galerien, sehen, beginnen wir überhaupt, uns mit den jeweiligen Objekten
als
Kunstwerken auseinanderzusetzen. Tracy Emins ungemachtes Bett ist in ihrem Apartment nur ihr ungemachtes Bett. Spätestens in der Londoner Tate Gallery ist es Kunst.
     
    Welche Fähigkeiten muss ein Künstler haben, um erfolgreich zu sein? Der Dichter und Philosoph Johann Gottfried Herder sagt: «Kunst kommt von Können oder Kennen her.» Dabei ist aber nicht klar, ob er die Etymologie des Wortes oder die Sache meint. Der Komiker Karl Valentin und andere haben diesen Zusammenhang pointierter als Herder formuliert: «Kunst kommt von Können. Käme sie von Wollen, hieße sie ‹Wunst›.» Heutzutage ist schwer zu beurteilen, wer Künstler und wer Wünstler ist. Waren früher vornehmlich handwerkliche Fähigkeiten entscheidend, ist es jetzt das besondere Talent, sich auf dem Kunstmarkt zu platzieren. «Das kann mein Kind auch», sagt der Kunstspießer. «Aber du musst der Erste sein», sagt der Kunstschlaumeier. Beide haben unrecht. Weil es keine objektivierbaren Kriterien für die Qualität moderner Kunst gibt, muss man auch nicht besonders originell sein. Es kommt vor allem darauf an, die Psychologie des Marktes zu verstehen: die Machtspiele der Galeristen und Kuratoren, die Frage, wer mit wem feiern gehen will, wer wen empfiehlt, welche Animositäten im Kuratorium gepflegt werden und wer die entscheidende Kritik schreibt.
    Man kann immer einen Grund finden, warum ein Werk gute Kunst ist: provokativ, weil roh, oder tiefgründig, weil fein. Besonders, weil raumfüllend, oder besonders, weil eine Leere lassend. Es gibt kein Kriterium, daher ist der Kunstdiskurs so eigenartig. Richard Serra installiert Riesenstahlplatten, die aussehen, als wären sie von der Baustelle übrig geblieben. Er ist allerdings so

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