Folge dem weißen Kaninchen
Gefühl sein, unter anderem weil wir eher Menschen bewundern als Kunstwerke. Vergnügen an der Schönheit könne es auch nicht sein, weil nun einmal viele Kunstwerke alles andere als schön sind. Interesse trifft es auch nicht, denn das verbinden wir laut Prinz auch mit schlechter Kunst. Bleibt eine Mischung aus Staunen und Überraschung. Laut Prinz liegt diese Mischung der Wertschätzung eines Kunstwerks zugrunde, ein unverkennbares positives Gefühl, das Aufmerksamkeit und Verehrung folgen ließe.
Es ist verdienstvoll, nach einem Grundgefühl zu suchen, das zur Kunst so passt wie das Genießen zur Schönheit. Prinz übersieht allerdings, dass die Wertschätzung eines Kunstwerkes nicht aus einem einzigen Gefühl folgt, sondern aus einem Zusammenspiel. Außerdem: Wenn man das angebliche Grundgefühl als ein «bewunderndes Staunen» charakterisiert, fragt sich, ob das nicht einfach ein anderes Wort für «Wertschätzung» ist.
Beide Ansätze, der traditionell-intellektuelle und der emotionale, lassen etwas aus. Der erste stellt die Wirkung der bildenden Kunst als zu gedankenlastig dar, indem er viele Empfindungen ausklammert. Der Gegentrend schließt diese Lücke, verkennt aber die intellektuelle Arbeit beim Betrachten eines Kunstwerks, also das, was den Menschen so einzigartig macht: seine Fähigkeit zur Reflexion. Kunst spricht alles in uns an, unsere Wahrnehmung, unsere Gedanken und unsere Gefühle. Oft überrascht uns die Kunst, aber manchmal bewundern wir ein Werk, ohne dabei zu staunen. Dieser ästhetische Doppelangriff auf Denken und Empfinden spielt auch beim Verständnis eines ganz jungen Forschungszweigs eine Rolle, der
Neuroästhetik
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Kunst im Kopf
Bunte Muster. Ein Flackern. Plötzlich blitzt ein blutroter Farbtupfer auf, umschlossen von einem schweflig gelben Ring. Der Hintergrund ist düster, ein schattiges Labyrinth ohne Eingang und ohne Ausgang. Was aussieht wie eine abstrakte Videoinstallation im Museum of Modern Art, ist die Momentaufnahme des Hirns eines Probanden, der im Magnet-Resonanz-Tomographen ( MRT ) liegt. Das Gerät zeichnet den Sauerstoffverbrauch in verschiedenen Hirnbereichen auf. Rote Farbe heißt: wenig Sauerstoff im Blut. Wenig Sauerstoff heißt: viel Verbrauch, also viel Aktivität. Der Proband musste die Wirkung von Kunstwerken beurteilen. Die Farben und Formen auf den Ölgemälden aktivierten dabei seine Sehrinde und seine Emotionszentren und ließen wiederum Farben und Formen auf dem Bildschirm des Hirnscanners entstehen, die nun die Wissenschaftler beurteilen müssen.
Die Wissenschaft beleuchtet unser Kunsterleben schon seit einiger Zeit im Kernspin. Dabei fiel der medizinische Blick eher zufällig auf die Kunst: Aus einer Laune heraus schrieb der indische Neurologe Vilayanur S. Ramachandran mit einem Kollegen vor gut zehn Jahren eine Abhandlung, in der er acht universelle Gesetze der Kunst aufschrieb. Mit zwei Ergänzungen wurden daraus später so etwas wie die zehn Gebote. Der Aufsatz «The Science of Art», also «Die Wissenschaft der Kunst», ist eine der Gründungsschriften der Neuroästhetik. Auf den ersten Blick ist der Text Provokation und Versprechen zugleich. Provokation, weil Kunst als klassische Domäne der Geisteswissenschaften plötzlich von einem Naturwissenschaftler erklärt wurde. Versprechen, weil der Ansatz diese so grundverschiedenen Wissenschaftskulturen zusammenbringt. Besonders Fachfremde sind immer wieder fasziniert, wenn man «Neuro» irgendwo davorschreibt: «Neuro-Ethik» klingt irgendwie spannender als «Ethik», und «Neuro-Marketing» scheint irgendwie mehr zu sein als bloß «Marketing». Dabei ist offenkundig, dass alles menschliche Denken, Fühlen und Tun eine neuronale Grundlage haben, also auch die Kunsterfahrung. Jeder Friseurbesuch und jede Kaffeepause sind ein Neuro-Friseurbesuch und eine Neuro-Kaffeepause.
Mal abgesehen von dieser Vorliebe für Verbalkosmetik: Was verrät uns die Hirnforschung über die Kunst? Mit «Kunst» meint Ramachandran hauptsächlich die bildenden Künste. Auf andere Künste wie Literatur, Musik, Tanz und Parfümkomposition geht er nicht ein. Aber selbst die bildende Kunst ist noch zu weit, denn Ramachandran widmet sich besonders gegenständlichen Werken, also denjenigen, bei denen man noch Figuren und Dinge erkennen kann wie indische Tempelfiguren, Landschaftsgemälde, Karikaturen oder Aktzeichnungen. Das verdeutlicht beispielhaft ein Problem der Neuroästhetik: Sie holt weit aus, um sich dann auf einen
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