Folge dem weißen Kaninchen
bei ihnen offenbar so fest verdrahtet, dass sie nicht umschalten können.
Damasios und LeDoux’ wichtige Entdeckung lautet: Gefühle können auch unbewusst auftreten und unser Handeln beeinflussen. Bewusste Gefühle sind demnach ein Sonderfall: nicht Körperwahrnehmungen wie bei James, sondern eher so etwas wie höherstufige Abbildungen von Körpervorgängen, genauer von Hirnprozessen. Von diesen Abbildungen bekommen wir Damasio zufolge im Bewusstsein nichts mit außer eben dem warmen Erleben der Freude oder dem brodelnden Erleben der Wut.
Allerdings bleibt offen, warum wir Gefühle so oft bewusst fühlen, wenn sie ihre Funktion auch jenseits des Bewusstseins erfüllen können. Es kann ja kein Zufall sein, dass wir Angst als unangenehm erleben und sie deshalb vermeiden wollen. Außerdem scheint Angst mehr als bloß ein automatischer Fluchtmechanismus zu sein.
Denkende Gefühle und gefühlte Gedanken
Wenn wir uns ängstigen, dann haben wir auch Gedanken: Wir halten den zähnefletschenden Dobermann des Nachbarn für gefährlich. Auf diesen Aspekt zielen die kognitiven Theorien, denen zufolge Gefühle eine Form von Gedanken sind, nämlich Einschätzungen oder Beurteilungen. Viele kognitive Theoretiker geben zu, dass manchmal Gefühle auch etwas mit Fühlen zu tun haben, aber dieser Zusammenhang sei eher zufällig.
Das behauptet zum Beispiel die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum. Wie könnte man von «Angst» sprechen, fragt sie, wenn es nicht eine Angst
vor
dem Dobermann ist, wie von Trauer, wenn es nicht die Trauer
über
den Tod des Großvaters ist? Damit Angst und Trauer diesen Bezug haben, müssen sie für Nussbaum Einschätzungen oder Urteile beinhalten. Nussbaum dreht James’ Frage einfach um: Was bliebe von einer Wut übrig, wenn man alle Gedanken und Einschätzungen wegnähme? Laut Nussbaum nichts als ein undefinierbares Körpererleben, das nicht einmal bei allen Menschen gleich sei. Amerikanische Männer würden Wut eher als brodelnd empfinden, während die Frauen sie eher als eine Anspannung im Nacken spürten. Das könnte kulturelle Gründe haben: In der amerikanischen Mittelschicht dürfen Männer ihre Wut herauslassen, während man von Frauen erwartet, dass sie sich kontrollieren. Für Italienerinnen gilt das nicht, wie wir aus Filmen wissen. In jedem Fall zeigt dieser Unterschied laut Nussbaum, dass Gefühle wie Wut keine typische Physiologie haben. Sie seien vielmehr Urteile über das, was in unserem Leben Bedeutung hat oder was unsere Selbstzufriedenheit bestimmt.
Nussbaum ist mit einem Problem konfrontiert: Unsere Gefühle müssten sich ändern, sobald sich unsere Urteile ändern. Doch viele Menschen haben auch dann noch Angst vor Spinnen, wenn sie wissen, dass sie nicht gefährlich sind. Falsche Urteile können wir schnell verwerfen, unsere Gefühle aber nicht. Und oft ist die Angst schon da, bevor wir überhaupt begreifen, wovor wir uns fürchten. Ein überlegtes Urteil kann also nicht wesentlich für die Angst sein.
Vielleicht entstehen die «Urteile» unserer Gefühle aber auch gar nicht aus Überlegungen, sondern ganz automatisch. Wenn uns jemand anrempelt, sind wir sofort wütend, noch bevor uns der Gedanke kommt: Der hätte besser aufpassen können. Dieses Phänomen erklärt der amerikanische Psychologe Richard Lazarus mit seiner
Bewertungstheorie
, die weniger gedankenlastig ist als Nussbaums Theorie. Auch Lazarus beginnt mit der Beobachtung, dass wir durch Gefühle Bezug auf unsere Umwelt nehmen. So, wie wir uns durch die Wahrnehmung ein Bild von der Welt machen, so zeigen uns Gefühle wichtige Faktoren für unser Zusammenleben in der Gruppe und für unser Überleben in der Wildnis an. Lazarus nennt diese Faktoren «Kernthemen». Man könnte auch von «grundlegenden Lebensthemen» sprechen. Die Angst vor der Schlange lässt uns nicht einfach nur die Schlange sehen, sondern vielmehr das Kernthema: eine Gefahr in Form der Schlange. Die Angst «bewertet» sozusagen die Schlange als Gefahrenquelle. Diese «Bewertung» darf man sich aber nicht als ein bewusstes Nachdenken vorstellen. Es ist eher ein automatisches und schnelles Einschätzen einer Situation.
Lazarus hat für alle Gefühle die entsprechenden Kernthemen aufgelistet: Traurigkeit zeigt beispielsweise Verlust an, Scham das Überschreiten einer sozialen Norm, Wut eine Beleidigung. So sichern wir unser Überleben, denn wir meiden Gefahr, suchen Schutz, und wir funktionieren in der Gruppe: Wir versuchen, Normen nicht
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