Fool on the Hill
Gleiter und Doppeldecker waren dabei, aus dem West Campus in nördlicher Richtung abzudriften, auf die Fall-Creek-Schlucht zu. Ohne sich mit Abschiedsfloskeln aufzuhalten, scherte sie aus, machte kehrt und steuerte wieder den Knochenacker an, den George mittlerweile erreicht haben mußte.
»Was -?« sagte Puck, als er bemerkte, daß er plötzlich ohne Begleitung flog.
»Flieg nach Haus, Puck«, rief Zephyr ihm nach. »Ich will nicht mit dir reden.«
»Wahnsinn«, sagte Puck, als er sah, wie sie wegflitzte. Er gab wieder volle Leistung, wendete und machte sich an die Verfolgung. »Jesus, Troilus und Cressida - auf ein neues!«
VI
Eines darfst du nie vergessen, George, Künstler sind begnadete Wesen. Sie sind - Götter nicht mitgerechnet - die einzigen Leute, die Unsterblichkeit verleihen können...
Der Knochenacker lag unterhalb der Stewart Avenue, etwa auf halber Höhe des Hügels. George hatte diesen Platz vor mehreren Jahren entdeckt und besuchte ihn seitdem regelmäßig, um sich davon inspirieren zu lassen. Er schlenderte dann zwischen den Grabsteinen herum, blieb häufig stehen, um Namen, Daten, Grabinschriften zu lesen und sich allerlei Fragen zu stellen: Wie war diese Frau? Wie ist sie gestorben? Hier steht, daß sie verheiratet war; haben sie eine glückliche Ehe geführt? Dieser hier ist jung gestorben; hat er sein kurzes Leben genossen? Was hat er an seinem sechzehnten Geburtstag gemacht?
Hunderte von Grabsteinen; Hunderte von Geschichten, jede einzelne viel zu lang, um jemals vollständig erzählt zu werden. Aber hin und wieder sah George etwas, das ihm im Gedächtnis haftenblieb - vielleicht nur einen ungewöhnlichen Namen -, und wenn er sich dann das nächstemal an den Schreibtisch setzte, würde diese Person Teil einer neuen Geschichte werden, der Ewigkeit einen Schritt näher kommen.
Obwohl er schon viel Zeit auf dem Knochenacker zugebracht hatte, entdeckte er seltsamerweise immer wieder etwas Neues. Diesmal stieß er auf zwei ungewöhnliche Steine, die ihm bislang noch nie aufgefallen waren. Der eine war die übliche rechteckige Marmorplatte, auf der die Worte eingraviert waren:
IM GEDENKEN
AN MEINEN INNIG GELIEBTEN MANN HAROLD LAZARUS
1912-1957
VON SEINER LIEBENDEN FRAU DER HERR SCHENKE IHM FRIEDEN
Gegen die Inschrift als solche war nichts einzuwenden - sie war liebevoll, ja sogar ein bißchen rührend; aber die Verzierungen waren absolut grotesk. Unter dem DER HERR SCHENKE IHM FRIEDEN war eine Art Dämon mit Pfeil und Bogen eingeätzt, der hinter einer Hirschkuh herlief. Weitere dämonische Gestalten trieben sich in den oberen Ecken der Steinplatte herum, und das Ganze wurde von einer minutiös gearbeiteten wasserspeierähnlichen Figur gekrönt, die den Betrachter zu belauern schien.
George schüttelte den Kopf und versuchte, nicht zu lachen. Armer Harold Lazarus. Womit hatte er ein solches Denkmal verdient? Oder hatte seine Frau lediglich einen überdurchschnittlich schlechten Geschmack gehabt?
»Was meinst du, Harold?« fragte George, kauerte sich neben den Stein und zog einen Notizblock hervor. »Würd’s dir gefallen, ewig zu leben?«
Er machte eine Skizze von der Wasserspeierfratze, milderte aber dabei ihre Züge ab, so daß sie einen eher unglücklichen als grimmigen Ausdruck bekam. Unter die Skizze schrieb er: »FÜR LAZARUS - VON SEINER LIEBENDEN, ABER GESCHMACKLOSEN FRAU«. George hatte keine Ahnung, was für eine Geschichte sich daraus entwickeln würde, aber er wollte sich auf alle Fälle bemühen, Harold etwas von seiner Würde zurückzugeben.
Der andere Stein hatte nichts Komisches an sich. Er stand auf einer kleinen Erhebung, und verglichen mit seinen Nachbarn - kostspielige, hohe Dinger, die wie maßstabsgetreue Nachbildungen des Washington-Denkmals aussahen - war er hoffnungslos primitiv. Er hatte nicht einmal eine erkennbare Form, machte vielmehr den Eindruck, als habe sich jemand einen Findling vorgenommen und so lange daran herumgehämmert und -geklopft, bis er ausreichend zusammengeschrumpft war, um als Grenzstein dienen zu können. Ebenso war die Inschrift auf die denkbar kunstloseste Weise eingemeißelt worden; sie ließ sich allerdings immer noch entziffern. George starrte sie lange unverwandt an.
HIER RUHT ALMA RENAT JESSOP
GEBOREN AM 23. APRIL 1887
GESTORBEN AM 23. APRIL 1887
IHR VATER HAT SIE GELIEBT
Der Himmel wurde immer finsterer. Der Regen würde nicht mehr viel länger warten, und George wollte noch zu einer bestimmten Stelle am
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