For the Win - Roman
schlechte Idee gewesen war. Schultern, Arme und Brust taten ihm weh, und er musste immer öfter Pausen einlegen, um seine Muskeln zu lockern – der Schmerz ließ schon gar nicht mehr nach. Auch seine Ohren schmerzten, denn das Heulen des Bohrers hallte im Inneren des Containers wider wie hundert Albträume vom Zahnarztbesuch. Er hielt ein Auge auf die Uhr, weil er das Risiko einer Entdeckung möglichst gering halten und nur bis zum morgendlichen Schichtbeginn arbeiten wollte. Aber der Akku versagte schon eine Stunde vorher den Dienst. Außerdem stellte er fest, dass er den letzten nicht richtig eingelegt hatte, und von daher waren beide jetzt leer.
Allerdings war ihm dieser Anlass für eine Pause durchaus willkommen. Er betastete die Delle, die er in stundenlanger Arbeit in das Stahlblech getrieben hatte, spürte jedoch kaum einen Unterschied. Schließlich löste er einen Stuhl aus seiner Befestigung, zog ihn heran, stellte sich darauf und erspähte einen Nadelstich grauen Lichts – das erste Licht der Dämmerung, das durch sein winziges Bohrloch schimmerte.
Schlaf half seinen Muskeln auch nicht weiter. Eigentlich taten sie nach dem Aufwachen sogar noch mehr weh. Er brauchte fünf Minuten, um seine Arme auch nur über den Kopf zu heben und ein wenig zu lockern. In seinem Erste-Hilfe-Set hatte er auch etwas Tigerbalsam, diese rote, stark riechende chinesische Salbe, und er rieb sich Arme, Schultern, Nacken und Brust damit ein. Zuerst dachte er, es bringe nichts, doch ein paar Minuten später breitete sich ein brennendes, frisches Gefühl auf seiner Haut aus, das gleichzeitig heiß und kalt war. Erst fand er es etwas beängstigend, ein paar Sekunden später einfach nur noch unglaublich: All seine Muskeln schienen auf einen Schlag ihre Anspannung zu verlieren. Er nahm seinen Bohrer, warf einen Blick auf die Uhr – jetzt waren sie mitten in der ersten Schicht, aber egal, keiner würde ihn über den Motorenlärm hinweg hören – und machte sich wieder an die Arbeit.
Fünf Minuten später brach er durch. Fünf Minuten! So nah war er seinem Ziel bereits gewesen! Erneut hielt er das Auge ans Loch, sah Himmel, Wolken, die Schatten anderer Container. Seine WLAN -Antenne war bereit. Zuvor hatte er sie mit einem Dauermagnet aus seltenen Erden befestigt gehabt, der so stark war, dass er beide Arme gebraucht hatte, um ihn wieder zu lösen – als zöge er eine störrische Karotte aus dem Boden. Für den Moment brauchte er jedoch nur die biegsame Antenne selbst. Er nahm sie auseinander, verband sie mit den blanken Drähten und schob sie sanft und vorsichtig durch sein münzgroßes Loch.
Er stellte sich vor, wie sie vom flachen Dach des Containers aufragte, so auffällig wie ein Ständer vorne an der Schultafel, doch er hatte jetzt so lange gearbeitet, dass ein Rückzieher nicht mehr infrage kam. Eine innere Stimme sagte ihm zwar, dass geschnappt zu werden genauso wenig infrage kam, aber er hörte nicht auf sie, denn Informationen über den Status des Schiffs waren für seine Mission unerlässlich.
Also schnappte er sich seinen Laptop, loggte sich ins Netzwerk ein und begann, den Datenverkehr zu analysieren. Eine Weile sah er zu, wie seine Software E-Mails, Seitenaufrufe, Suchbegriffe und IM s sortierte, doch das war ähnlich spannend, wie einem Fortschrittsbalken zuzuschauen.
Deshalb zog er sich wieder in sein Versteck zurück und machte sich eine Tasse japanische Instantnudeln. Dazu genehmigte er sich eine Dose grünen Tee mit Sojamilch. Er bemühte sich, so langsam wie möglich zu essen und seinen Magen nach dem Geschaukel des letzten Tags wieder zu besänftigen. Während er aß, hörte er draußen, ganz in der Nähe, Schritte und das Grollen schwerer Maschinen, und beim Gedanken an seine Antenne da oben schluckte er schwer.
Wieso hatte er sie nur da rausgeschoben? Weil er den Gedanken nicht ertragen hatte, noch tagelang untätig in diesem Kasten herumzusitzen. Wieso machte er das alles überhaupt? Wieso war er auf dem Weg nach China? Wieso war er von zu Hause weggelaufen, um ein Spieler zu werden? Wieso hatte er überhaupt je Chinesisch gelernt?
Eingesperrt und allein mit seinen Gedanken, sah er sich mit einigen unerfreulichen Antworten konfrontiert. Er hatte nicht wie die anderen sein, hatte hervorstechen, etwas Besonderes sein wollen. Hatte sich mit genau den Dingen auskennen wollen, von denen sein Vater am wenigsten Ahnung hatte. Um zu gewinnen. Um Teil von etwas Größerem zu sein – aber ein wichtiger Teil.
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