For the Win - Roman
schmutzigen, ramponierten Kartons unter dem Tisch. »Also musste ich die Gamecards in meinen Rucksack packen und immer wieder rauf und runter, bis ich alles auf dem Boden hatte. Dann hab ich die Kartons runtergeworfen und alles wieder eingepackt.«
Pings Kinnlade klappte herunter. »Das hast du alles im Hafen gemacht?« Er dachte an die ganzen Wachleute, all die Kameras.
Wei-Dong schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Das konnte ich nicht riskieren. Ich hab es schon die Nacht davor gemacht. Zum Glück hab ich alles in Plastik gepackt, denn kurz danach hat es ziemlich geregnet. Es stand eine Menge Wasser auf Deck, und ein bisschen was ist durchs Plastik gesickert, aber die Kartons scheinen es überlebt zu haben. Ich hoffe, man kann die Karten noch gebrauchen. Ich glaub aber schon, denn drinnen sind sie noch mal in Plastik gewickelt.«
»Was, wenn die Crew dich gesehen hätte?«
Wei-Dong lachte. »Glaub mir, ich hab mir vor Angst fast in die Hose gemacht! Ich war die ganze Zeit in Sichtweite des Steuerhauses. Zum Glück hatten wir keinen Mond. Angst hatte ich trotzdem.«
Ping betrachtete den Gweilo mit seinen dünnen Armen, dem jugendlichen Flaum auf der Lippe, dem verzottelten Haar, seinem schlechten Geruch. Als er endlich aus dem TorspaziertwarundderWachesiegessicherseinenAusweispräsentierthatte,hättePingihndafürerwürgenkönnen,dassersospätdranwarundesihmnichtmalwasauszumachen schien. Jetzt aber empfand er nur noch Bewunderung für seinen alten Gildie. Und er sagte es ihm auch.
Wei-Dong wurde rot, seine Brust schwoll an, und er sah so stolz aus, dass Ping es wiederholen musste. »Meinen Respekt«, sagte er. »Was für eine Geschichte!«
»Ich hab bloß getan, was getan werden musste«, erwiderte Wei-Dong mit einem lässigen und wenig überzeugenden Schulterzucken. Sein Mandarin war besser, als Ping es in Erinnerung hatte. Vielleicht lag es auch daran, dass sie sich nun von Angesicht zu Angesicht unterhielten, nicht nur über eine verrauschte Internetverbindung, und den ganzen Körper, das ganze Gesicht des anderen sehen konnten.
Pings Verärgerung schmolz dahin und wurde von einer Welle der Zuneigung für diesen Jungen weggespült. Er hatte Tausende von Kilometern zurückgelegt, um Teil ihrer großen Gilde zu sein.
»Nimm’s mir nicht krumm«, sagte er, »aber ich will was loswerden: Vor ein paar Stunden noch war ich ziemlich sauer auf dich. Ich dachte, es ginge bei diesem Plan nur um dein Ego oder deine Dummheit – dass du selbst mit den Kartons reist, meine ich. Ich hätte dich am liebsten erwürgt. Ich dachte, du bist bloß ein blöder, verzogener … «
Als er den verletzten Ausdruck auf Wei-Dongs Gesicht sah, brach ihm fast das Herz. Schnell streckte er die Hände hoch. »Moment! Ich will damit ja nur sagen, dass ich das ursprünglich gedacht habe. Aber dann habe ich dich kennengelernt, deine Geschichte gehört und begriffen, dass dir das alles genauso wichtig ist wie uns und du genauso viel dafür riskiert hast. Dass du ein echter … Genosse bist.« Das Wort war komisch, ein altmodischer Kommunistenausdruck, den zehn Millionen Stunden revolutionären Singens in der Schule jeglicher Farbe und Bedeutung beraubt hatten. Doch er passte.
Und er erfüllte seinen Zweck. Wei-Dongs Brust schwoll noch weiter an, wie ein Ballon, der jeden Moment davonsegeln würde, und seine Wangen glühten wie Kohlen. Er rang nach Worten, doch sein Chinesisch schien ihn im Stich zu lassen. Also lachte Ping nur und reichte ihm ein weiteres Lotusblatt, diesmal mit Meeresfrüchten gefüllt.
»Iss!«, lachte er. »Iss!« Er schaute nach der Uhrzeit und den letzten verschlüsselten Nachrichten von Schwester Nor. »Du hast noch zehn Minuten, dann müssen wir ins Gildenhaus zur großen Einsatzbesprechung!«
Mal angenommen, man läuft durch ein fremdes Viertel und ist auch leicht desorientiert. Vielleicht ist es ja eine komische Tageszeit: sehr früh am Morgen im Bankenviertel, spät in der Nacht bei den Clubs oder Mittagszeit in den Vororten, wenn alle anderen unterwegs sind.
Mal weiter angenommen, da kommt so ein Fremder auf einen zu. Ordentlich gekleidet, ein Lächeln auf dem Gesicht und von der ganzen Körpersprache her ein netter Kerl, der auch gerade etwas ab vom Schuss ist. In den Händen hält er eine Glasscheibe, ziemlich zerbrechlich, etwa von der Größe eines Straßenatlas oder eines Monopolybretts, und er hat ganz schön damit zu kämpfen. Die Scheibe ist wahrscheinlich recht schwer oder rutschig. Er kommt
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