For the Win - Roman
einmal ging es ihm nur noch halb so schlecht. Er wollte wieder an den Computer, doch den Bildschirm anzustarren brachte bloß die Übelkeit zurück. Angeblich sollten Ingwertabletten ja helfen – das hatte zumindest ein FAQ für Leute auf ihrer ersten Kreuzfahrt behauptet – , und irgendwo musste er auch ein paar davon haben. Eine Weile lenkte es ihn ab, trotz des Schwankens nach ihnen zu suchen. Er fand sie, würgte zwei mit etwas Wasser hinunter und merkte dabei, dass sein Tank nur noch halb voll war. Er nahm sich vor, von nun an sparsam mit jedem Tropfen umzugehen, da er jetzt ja kein Regenwasser mehr sammeln konnte.
Er war sich nicht sicher, aber es kam ihm so vor, als ließe der Sturm allmählich nach. Er trank noch etwas Wasser, und sobald es ihm ein wenig besser ging, setzte er sich wieder an den Computer. Es grenzte schon fast an ein Wunder, aber er fand keinen Bericht über sich in den Logfiles, keine dringende Mitteilung an die Zentrale. Hatten sie den blinden Passagier nicht bemerkt? Vielleicht hatten sie wegen des Sturms zu viel zu tun gehabt?
Und da war der Sturm auch wieder, noch wütender als zuvor. Die Wellen schaukelten sich immer weiter auf. Es war nicht mehr bloß schwerer Seegang, sondern die reinste Urgewalt. Wei-Dong musste sich mit Händen und Füßen an seinem Bett festklammern, den Laptop zwischen Brust und Matratze geklemmt, als das ganze Schiff erst nach backbord kippte und sich dort fast auf die Seite legte, danach zurück in die Wellen krachte und sich dann in einem ebenso steilen Winkel auf die andere Seite legte. Das ging noch einige Male so, und Wei-Dong biss die Zähne zusammen, schloss die Augen und betete zu einem fernen Gott, dass das Schiff nicht einfach kentern und auf Meeresgrund sinken möge.
Frachtschiffe sanken zwar nicht besonders häufig, aber es konnte passieren. Und natürlich war da dieses eine Prozent an Containern, das bei solchem Wetter regelmäßig über Bord ging. Sein Vater hatte das immer sehr persönlich genommen. Ein Prozent klang vielleicht nicht nach viel, doch wie sein Vater stets betont hatte: Das waren immer noch 20000 Container, genug, um ein ganzes Hochhaus daraus zu bauen. Und die Zahl stieg mit jedem Jahr, das die Meere rauer und das Wetter unberechenbarer wurden.
All dies ging Wei-Dong durch den Kopf, als er sich an seinem festgeschraubten Bett festhielt, um sein Leben bangte und von allen Sachen, die zu verstauen er vergessen hatte, windelweich geprügelt wurde. Das Schiff stöhnte und ächzte, und dann gab es ein tiefes, metallisches Kratzen, das er bis in seine Eingeweide spürte, als …
… der Container sich bewegte .
Einen langen Moment kam es ihm so vor, als wären alle anderen Geräusche verstummt. Der Eindruck der Bewegung pflanzte sich von seinem Innenohr direkt ins Angstzentrum seines Gehirns fort. In diesem Augenblick wusste er, dass er sterben würde. Eine gewichtslose Ewigkeit lang würde er sinken und sinken, während der Druck des Wassers über ihm stieg. Und dann würde der Container implodieren, sodass sich Wei-Dongs Reste über die zerquetschten Wände verteilten und sich in roten Luftschlangen verflüchtigten, während der Blechsarg die Fahrt zum Meeresgrund fortsetzte.
Da richtete sich das Schiff wieder auf. Wei-Dong hatte Tränen in den Augen und spürte Feuchtigkeit im Schritt: Er hatte sich in die Hosen gemacht. Das Schaukeln wurde schwächer und schwächer und hörte schließlich beinahe auf. Das Schiff bewegte sich wieder normal, und Wei-Dong erkannte, dass er überleben würde.
Sein kleines Versteck lag in Trümmern. Seine Kleider, seine Spielsachen, seine Überlebensausrüstung – alles lag in den Ecken verteilt. Zum Glück hatte seine chemische Toilette alles gut überstanden, und der Deckel hatte gehalten. Das wäre übel gewesen. Dennoch hatten Erbrochenes und verschüttete Sachen so ziemlich jede verfügbare Oberfläche bekleckert. Nach seiner Uhr (ein lächerliches Erbstück seines Vaters, für das er jetzt aber sehr dankbar war) war es jetzt vier Uhr morgens seiner Zeit, also elf Uhr morgens Schiffszeit. Wenn er richtig gerechnet hatte, sollten sie jetzt etwa auf der Höhe von Neuseeland sein, wo es gerade sechs Uhr früh war. Das hieß, dass es gerade hell wurde und die Crew zweifellos an Deck unterwegs war, um den Schaden in Augenschein zu nehmen und die verbliebenen Container so gut es ging mit dem kleinen Kran und den Zugwagen des Schiffes zu sichern. Und das wiederum hieß, dass er bleiben musste, wo
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