For the Win - Roman
mit dem Toten?«
»Hier«, sagte Krang und zeigte mit der Maus auf eine Ecke des Bildausschnitts. Auf einem Klapptisch neben den Demonstranten lag der tote Junge aufgebahrt. Wenn man genau hinsah, konnte man das Loch in seiner Stirn und auch die Blutspur an der Seite seines Gesichts erkennen.
»Tja«, meinte Justbob. »Jetzt ist es zu spät, die Leute noch zu beruhigen.«
Schwester Nor sagte: »Das wissen wir nicht. Es gibt immer noch eine Chance … «
»Nein, gibt es nicht«, widersprach Justbob und wies auf den Schirm. »Da sind Tausende von Menschen unterwegs. Was passiert online gerade?«
»Es ist eine einzige Katastrophe«, sagte Krang. »Bei den Goldfarmern ist das reinste Chaos ausgebrochen. Tausende von Webblys sind in den Arbeitskampf getreten. Und es wird stündlich schlimmer. In China stehen sie gerade erst auf, es dürften also noch viel mehr werden … «
Justbob schluckte. »Das ist keine Katastrophe, das ist eine Schlacht! Und die werden sie gewinnen. Und die nächste auch. Es würde mich doch sehr wundern, wenn von diesem Moment an überhaupt noch irgendwelches Gold auf den Markt kommt, egal in welchem Spiel. Wir können genauso schnell die Konten wechseln, wie die Spielbetreiber sie uns sperren. Außerdem gibt es eine Menge ganz normaler Spieler, die sich uns einfach zum Spaß angeschlossen haben. Und die werden auf die Barrikaden gehen, wenn sie ihren Account verlieren. Wir haben schon so gut wie gewonnen.« Sie schaute gelassen drein, nahm sich eine Tasse Tee, nippte und stellte sie wieder ab.
Schwester Nor starrte sie lange an. Sie waren alte Freundinnen, aber Justbob verehrte sie nicht in demselben Maß, wie Krang es tat. Sie wusste, dass Schwester Nor auch nur ein Mensch war, und hatte sie im Kleinen wie im Großen scheitern sehen. Schwester Nor war sich dessen ebenfalls bewusst, hatte aber die nötige Charakterstärke, sich auch Unliebsames von ihr sagen zu lassen.
Krang schaute zwischen den zwei jungen Frauen hin und her, fühlte sich wie immer ausgeschlossen und bemühte sich vergeblich, sich das nicht anmerken zu lassen. Schließlich stand er auf und murmelte etwas davon, noch mehr Kaffee zu holen. Keine der Frauen nahm von ihm Notiz.
»Du glaubst wirklich, dass wir schon bereit sind?«, fragte Nor, sobald die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte.
»Ich glaube, dass es einfach sein muss«, erwiderte Justbob. »Das erste Opfer einer jeden Schlacht … «
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Schwester Nor. »Du kannst jetzt damit aufhören.«
Als Krang zurückkam, sah er mit einem Blick, welche Entscheidung gefallen war. Er verteilte den Kaffee und machte sich an die Arbeit.
Mrs. Dottas Cafe war geschlossen. Die Läden vor Fenstern und Türen waren geschlossen.
»Hey!«, rief Ashok und klopfte an die Tür. »Hey, Mrs. Dotta! Ich bin’s, Ashok! Hey!« Es war beinahe sieben Uhr früh, und Mrs. Dotta öffnete das Café normalerweise schon um halb sieben, weil die Arbeiter, die Jobs außerhalb Dharavis hatten, dann zu ihren Haltestellen oder zum Bahnhof unterwegs waren. Es war noch nie vorgekommen, dass sie so spät dran war. »Hey!«, rief er wieder und klopfte mit seinem Schlüsselbund an das metallene Gitter. Der Lärm musste durch das ganze Haus zu hören sein.
»Hau ab!«, rief eine männliche Stimme. Erst dachte Ashok, die Stimme käme aus einem der beiden Zimmer über dem Café, die Mrs. Dotta vermietete, und schaute suchend nach oben – manchmal waren dort zwei ganze Großfamilien auf engstem Raum untergebracht. Doch auch diese Fenster waren geschlossen.
»Hey!« Abermals schlug er gegen die Tür. Der Krach war zu dieser frühen Stunde weithin hörbar.
Jemand entriegelte die Tür und stieß sie auf, so hart, dass sie schmerzhaft gegen Ashoks Zehen und Nasenspitze prallte. Er sprang zurück, und die Tür wurde erneut aufgestoßen. Vor ihm stand ein Junge von siebzehn oder achtzehn Jahren mit einer riesigen, schartigen Machete, so lang wie sein Unterarm. Sein Oberkörper war nackt, und er war so dürr, dass er halb verhungert aussah. Seine Rippen stachen heraus wie die Stäbe eines Xylophons. Er sah Ashok aus geröteten, betäubten Augen an und wischte sich sein strähniges, fettiges Haar aus der Stirn. Mit der anderen Hand hielt er ihn weiter in Schach.
»Hörst du schlecht?«, fragte er. »Bist du vielleicht taub? Hau ab!« Die Machetenspitze tanzte so dicht vor Ashoks Augen, dass er schielen musste.
Ashok machte einen Schritt zurück, doch die Machete war noch immer auf
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