For the Win - Roman
die Hände vor die Brust. »Verzeih mir«, sagte er. »Aber – na ja, ich dachte, du bist achtzehn oder neunzehn. Du bist ganz schön groß für dein Alter. Ich habe dich den ganzen Weg hierher gebracht, und du … du bist noch so jung! Deine Eltern werden krank vor Sorge sein.«
Sie schenkte ihm ihren besten stählernen Blick, denselben, mit dem sie die Jungs in der Armee zur Ordnung gerufen hatte, wenn sie begannen, sich zu … jungenhaft zu benehmen. »Ich habe ihnen eine Nachricht hinterlassen. Und heute Abend bin ich ja wieder da. Ich bin alt genug, mir meine eigenen Gedanken zu machen, besten Dank auch. Also, ich nehme nicht an, dass du mich heimlich durch halb Indien geschleppt hast, nur um mir hier Vorträge über meine Familie zu halten.«
Er fing sich wieder und grinste. »Oh natürlich, tut mir leid. Wir sind wegen eines Treffens hier. Es ist sehr wichtig. Die Webblys hatten nie viel Kontakt zu richtigen Gewerkschaften, aber jetzt, wo Nor in Schwierigkeiten steckt, hat sie um ein Treffen gebeten. Auf der ganzen Welt finden heute solche Treffen statt – in China und Indonesien, Pakistan, Mexiko und Guatemala. Die Leute, die wir gleich treffen werden, vertreten die Gewerkschaften der Textil- und Stahlindustrie und sogar die der Dockarbeiter, das sind die größten Gewerkschaften Mumbais. Mit ihrer Unterstützung hätten die Webblys Zugang zu Geld, Hilfe im Falle eines Streiks und mehr Einfluss. Sie wissen aber so gut wie nichts über euch, haben noch nie ein Spiel gespielt. Sie glauben, dass das Internet nur für E-Mails und Pornografie gut ist. Also bist du – sind wir – hier, ihnen das zu erklären.«
Sie schluckte. Vieles von dem, was er sagte, verstand sie nicht. Und was sie verstand, gefiel ihr nicht besonders. Das mit den »richtigen«Gewerkschaften zum Beispiel. Die Webblys waren doch eine richtige Gewerkschaft! Es gab aber Wichtigeres als ihren Ärger. »Was meinst du mit wir ? Bist du ein Spieler?«
Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich habe nicht die Geduld dazu. Ich bin Wirtschaftswissenschaftler. Mein Spezialgebiet ist der Arbeitsmarkt. Nor und ich haben lange an einer Strategie gearbeitet.«
Sie war sich nicht ganz sicher, was ein Wirtschaftswissenschaftler war, aber sie hatte das Gefühl, dass sie in seinem Ansehen noch weiter sinken würde, wenn sie das zugab. »Ich brauche meinen lathi« , bemerkte sie.
»Du brauchst keine Waffe für das Treffen. Niemand wird uns angreifen.«
»Jemand könnte ihn stehlen.«
»Hier ist nicht Dharavi«, erwiderte er. »Niemand wird ihn stehlen.«
Jetzt reichte es aber. Sie kannte sich aus mit Dharavi. Sie war ein Dharavimädchen. Diesem Fremden aber stand es nicht zu, schlecht über ihre Herkunft zu reden. »Ich brauche den lathi , um dir eins über den Schädel zu ziehen, wenn du meine Heimat weiter heruntermachst«, knirschte sie.
»Tut mir leid, tut mir leid.« Er kauerte sich neben den Roller und begann die Spanngurte loszumachen. Sie bückte sich und versuchte, die Kabelbinder um ihre Knöchel zu lösen, aber sie waren so fest angezogen, dass sie sich nicht mehr öffnen ließen.
Ashok blickte auf. »Du musst sie durchschneiden. Einen Moment.« Er wühlte in seiner Hosentasche, förderte ein gefährlich wirkendes Klappmesser zutage und ließ es aufschnappen. Sanft griff er nach dem Kabelbinder um ihren rechten Knöchel und schob die Klinge zwischen das Plastik und ihr Bein. Sie hielt den Atem an, als er den Kabelbinder durchschnitt, das Messer vorsichtig wegnahm, nach ihrem anderen Knöchel griff und auch diesen befreite. Gleich darauf steckte er das Messer weg und schaute sie an. Ihre Blicke trafen sich kurz, dann senkte sie die Augen.
»Sei vorsichtig«, bat sie, obwohl er schon fertig war. Er reichte ihr den lathi . Mit tauben Fingern griff sie danach und ließ ihn fast fallen.
»Okay«, sagte er. »Okay.« Er schüttelte den Kopf. »Die Leute dort drin wissen nichts von dir oder dem, was du tust. Sie sind ein wenig … du weißt schon, altmodisch.« Er lächelte, als ihm etwas einzufallen schien. » Sehr altmodisch in einigen Fällen. Und sie können nicht so gut mit Kindern. Jungen Leuten, meine ich.« Er streckte abwehrend die Hände hoch, als sie ihren lathi hob. »Ich wollte dich bloß warnen.« Er sah sie nachdenklich an. »Vielleicht solltest du dein Gesicht wieder verhüllen?«
Yasmin dachte kurz darüber nach. Eigentlich wollte sie das nicht. Sie wollte dort reingehen, wie sie war. Warum auch nicht? Doch der Hidschab hatte
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