For the Win - Roman
mir festhalten müssen.« Er grinste sein Bollywood-Lächeln.
Yasmin erkannte, was für einen Fehler sie begangen hatte: Dieser Fremde. Sein Motorroller. Dharavi zu verlassen. Weder zu wissen, wohin sie fuhren, noch warum. Und er hatte ihren lathi , der nicht mal ihrer war. Selbst wenn sie jetzt einfach wegging, würde sie ihrer Mutter immer noch die hinterlegte Nachricht erklären müssen. Und ihrem Bruder, was aus seinem Stock geworden war. Wahrscheinlich würden sie und dieser Fremde nie die berühmteste Geisterstadt Bollywoods erreichen, sondern im Verkehr von Mumbai tödlich verunglücken.
Doch so verzweifelt ihre Lage auch war, sie war immer noch besser, als wäre sie ganz allein gewesen – weder in der Armee noch in der Schule, aber auch nicht bei den Webblys. Besser, als nur die arme Yasmin zu sein, das Mädchen aus Dharavi, das nichts anderes kannte.
Sie setzte sich seitwärts auf den Sattel, während er vor ihr Platz nahm. Seine Lederjacke presste sich an ihre Seite. Als sie versuchte, die Hüfte mehr nach vorn auszurichten, wäre sie beinahe rückwärts vom Sattel gefallen.
»Du musst dich festhalten«, sagte Ashok, und die Bettelkinder lachten und machten obszöne Gesten. Sie schloss die Augen, legte die Arme um seine Hüften, spürte, wie dünn er unter seiner Jacke war, und verschränkte die Finger vor seinem Bauch. Sie saß jetzt etwas sicherer, aber es kam ihr immer noch so vor, als könnte sie jeden Augenblick stürzen. Dabei waren sie noch nicht mal losgefahren!
Ashok trat den Ständer zurück und ließ den Motor an. Die Wolke Biodiesel, die dem Auspuff entwich, roch scharf und abgestanden, wie altes Frittieröl – wahrscheinlich war es genau das auch mal gewesen. Yasmins Magen protestierte vernehmlich, und sie errötete unter ihrem Hidschab. Doch er drehte sich bloß um und fragte: »Fertig?«
»Ja«, erwiderte sie, aber ihre Stimme war kaum mehr als ein Fiepsen.
Sie waren keine fünfzig Meter weit gekommen, als sie »Stopp! Stopp!« schrie. Ihr ganzes Leben hatte sie noch keine solche Angst gehabt. Sie löste den Griff und legte die zitternden Hände in den Schoß.
»Was ist los?«
»Ich will nicht sterben!«, rief sie. »Und schon gar nicht auf diesem irren Ding in diesem irren Verkehr!«
Er wiegte den Kopf. »Es liegt an deiner Kleidung. Wenn du dich doch nur richtig auf den Sattel setzen könntest.«
Yasmin strich sich unglücklich über die Hüften, dann zog sie ihr Kleid hoch und enthüllte die weiten Hosen, die sie darunter trug. Ashok nickte. »Das wird gehen«, meinte er. »Du solltest die Hosenbeine aber festmachen, damit sie nicht in die Räder kommen.« Erneut öffnete er das Gepäckfach und reichte ihr zwei Kabelbinder, die sie sich um die Knöchel legte.
»Okay, weiter geht’s«, rief er, und sie stieg abermals auf und legte ihm die Arme um die Hüften. Er roch nach Haargel, Leder und Schweiß von der Fahrt. Obwohl sie immer noch den Bahnhof hinter sich sehen konnte, kam sie sich so vor, als hätte sie einen anderen Planeten betreten.
Als er den Motor anließ und wieder auf die Straße hinaussteuerte, klammerte sie sich so an ihm fest, als stände ihr Leben auf dem Spiel. Ihr wurde klar, dass er aus Rücksicht auf sie und ihren unsicheren Sitz bisher eher zurückhaltend gefahren war. Jetzt, da sie sicherer saß, fuhr er wie der übelste Rowdy aus einem Actionfilm. Er schoss am Rand des Straßengrabens entlang, vorbei am langsamen, stockenden Verkehr, immer drauf und dran, in den stinkenden Graben zu rasen oder von einem abbiegenden Auto oder einer sich plötzlich öffnenden Tür erwischt zu werden, wenn der Fahrer vielleicht gerade ausspucken wollte. Ständig hatte sie Angst, er würde einen der Bettler am Straßenrand überfahren, die bei den im Stau stehenden Autos an die Scheiben klopften und die darin gefangenen Insassen mit traurigen Gesichtern bedachten.
In ihrer Spielerkarriere hatte sie zahllose Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit durch gefährliches Terrain gelenkt. Es war nicht mal ansatzweise dasselbe – obwohl das Visier des Helms alles ganz unwirklich und wie in einem Spiel erscheinen ließ. Sie konnte ihr eigenes Wimmern hören, und jede Faser ihres Körpers schrie ihr zu: Steig ab, solange du noch kannst! Doch ihr Verstand beharrte darauf, dass dieser Junge seinen Roller sicher jeden Tag durch Mumbai steuerte und bisher immer überlebt hatte.
Und während sie Straße auf Straße entlangrasten, gab es jede Menge zu sehen, und das war viel interessanter
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