For the Win - Roman
hinausmarschiert waren und die Eingänge blockiert hatten, damit niemand mehr hineinkam.
Bewundert von Mädchen, alten Frauen und jungen Männern, die ihnen zuschauten, bildeten sie gleich darauf eine Phalanx, Schulter an Schulter, und trotzten mit ihren stolzen Rufen Boss Wings feigen Schlägern. Wenige Minuten zuvor hatten die noch sehr mutig getan – Typen, die jederzeit bereit waren, einem ins Gesicht zu schlagen oder den Lohn zu kürzen, wenn man bei der Arbeit zu viel redete.
Seit sie versucht hatten, auf eigenen Füßen zu stehen, war alles nur noch schlimmer geworden. Boss Wing führte jetzt ein riesiges Unternehmen. Zwar schützten seine Aufpasser sie im Spiel vor reichen Spielern, die Goldfarmer zum Spaß jagten, aber Boss Wing hatte sich inzwischen als geizig und gemein entpuppt. Man durfte sich schon glücklich schätzen, wenn man nach all den Abzügen für »Regelverstöße« noch die Hälfte seines Lohns bekam.
Ihre Handys klingelten und brummten vor Bildern aus anderen Fabriken, wo die Arbeiter ebenfalls in Streik getreten waren. In Mushroom Kingdom fand ein regelrechter Krieg statt, weil die Webblys verhindern wollten, dass irgendwer in ihrem Gebiet farmte. Dann tauchte die Polizei auf, doch Matthew, Ping und seine anderen Freunde wichen nicht zurück. Sie waren Arbeiter, sie waren Krieger, sie waren eine Armee – und sie kämpften für eine gerechte Sache. Sie würden sich nicht einschüchtern lassen.
Bald darauf setzte die Polizei Tränengas ein und schlug mit Knüppeln auf die Streikenden ein. Ringsum wurde geschrien und gebrüllt. Schließlich flüchtete Lu vor dem beißenden Gas und dem Chaos der Schlacht – den unzähligen Schlachten im Spiel so ähnlich, und doch so verschieden. Dann musste er sich übergeben, und jetzt …
… hatte er keine Ahnung, an wen er sich wenden sollte.
Sein Telefon klingelte. Als er sah, dass die Nummer unterdrückt wurde, schlug ihm das Herz bis zum Hals. Unterdrückte die Geheimpolizei ihre Nummer, wenn sie einen anrief? Doch wenn die Geheimpolizei von ihm wusste und seine Handynummer besaß, dann würde sie auch mühelos seinen Standort bestimmen und ihn festnehmen können.
Es war nicht die Polizei. Beklommen nahm er den Anruf entgegen.
»Wei?«, fragte er vorsichtig.
»Lu? Bist du das?« Die Stimme hörte sich leicht verzerrt an und hatte den hallenden Klang eines billigen VOIP -Dienstes, so als ob die Datenpakete dritter Klasse durchs Netz gereist wären. Auch der Akzent war schwer zu verstehen, unbeholfen und etwas daneben. Doch er kannte den Klang – und er kannte die Stimme.
»Wei-Dong?«
»Ja!«
»Wei-Dong aus Amerika ?« Seit sie zu Boss Wing zurückgekehrt waren und Ping den Gweilo aus der Gilde hatte werfen müssen, hatte er nichts mehr von ihm gehört. Boss Wing erlaubte ihnen nicht mehr, mit Außenseitern zusammenzuspielen oder sich auch nur im Spiel mit ihnen zu unterhalten. Er hatte Spyware auf seinen PC s installiert, die ihn darüber informierte, wenn man sich nicht an die Regeln hielt, und man verlor einen Tageslohn für den ersten Verstoß und einen Wochenlohn für den zweiten.
»Lu, ich bin’s! Du, habe ich da gerade gesehen, wie die Polizei dich und Ping zusammenschlägt?«
»Keine Ahnung.« Wegen der Kopfwunde war Lu immer noch so desorientiert, dass er sich fragte, ob er diese Unterhaltung wirklich führte. Es war alles sehr seltsam.
»Ich … Ich habe dich gerade auf einem Video aus Shenzhen gesehen. Glaube ich zumindest. Warst du das, den sie dort zusammengeschlagen haben?«
»Man hat uns tatsächlich gerade zusammengeschlagen. Mir tut alles weh.«
»Hat es dich schlimm erwischt? Ich habe Ping nicht erreicht, also habe ich es bei dir probiert.« Wei-Dong klang sehr aufgeregt und besorgt. »Was ist passiert?«
Lu versuchte immer noch in den Kopf zu kriegen, dass der Gweilo ihn gerade aus Amerika anrief. »Du hast mich bei dir daheim im Internet gesehen?«
»JederSpieleraufderWelthatdichgesehen,Lu!Duhättest es nicht besser timen können! Nach dem Abendessen ist am meisten los im Netz, und die Nachricht hat sich schneller verbreitet als alles, was ich je gesehen habe. Alle haben über euch gechattet und Links zu Videos und Fotos rumgeschickt. Es war sogar in den offiziellen Nachrichten! Mein Nachbar hat bei mir an die Wand geschlagen und mich gefragt, ob ich irgendwas darüber weiß. Unglaublich!«
»Du hast gesehen, wie ich zusammengeschlagen werde?«
»Alter, jeder im Netz hat gesehen, wie du zusammengeschlagen
Weitere Kostenlose Bücher