Forellenquintett
einer Routinekontrolle aufgeflogen.« Er hob seine rechte Hand und ließ sie wieder sinken. »Ohne Not rede ich auch nicht über meine Informanten.«
»Hat er dir den Namen dieser Sängerin gesagt?«
Blocher griff in seine Jackentasche und schob ihr einen zusammengefalteten Zettel über den Tisch.
Sie blickte sich um, dann öffnete sie den Zettel. In akkuraten Blockbuchstaben stand da:
Grützke, Tabea, Frankfurt a. M., Lersnerstraße 14b . Sie runzelte die Stirn.
»Mädchen, was hast du?«, fragte Blocher. »Hast du einen Geist gesehen?«
Tamar schüttelte den Kopf. »Keinen Geist.« Sie stand auf. »Du hast einen Stein gut, alter Mann.«
Freitag, 7. Oktober
E in Hochdruckgebiet hatte sich am Wochenende über Deutschland ausgebreitet und freundliches Herbstwetter gebracht. Es war erst kurz nach zehn Uhr morgens, und die elektronische Anzeigetafel am Lehrter Bahnhof in Berlin zeigte schon 15,5 Grad Celsius an, bis zum Nachmittag würde es fast sommerlich werden.
Die beiden Eheleute, die langsam die Invalidenstraße entlanggingen, waren in ihren Übergangsmänteln zu warm angezogen. Der Mann, kaum ein Meter siebzig groß, zog mit der einen Hand ein Köfferchen auf Rollen, in der anderen hielt er seinen dunklen Hut, unter dem es ihm zu heiß geworden war. Die spärlichen grauen Haare klebten verschwitzt an dem runden, etwas knubbeligen Kopf.
Seine Frau ging eine halbe Schrittlänge vor ihm. Ihr Gesicht war rosig, fast erhitzt. Obwohl man ihr ansah, dass das Gehen ihr nicht leicht fiel, bestimmte sie das Tempo und schien ihren Mann hinter sich herzuziehen. Sie sah aufmerksam um sich, mit einem Blick, der sofort entschied, was wichtig für sie war und was nicht. Die Passanten waren nicht wichtig.
Plötzlich wurde sie langsamer. »Da vorne«, sagte sie. Eine weitläufige Grünanlage öffnete sich vor ihnen und führte zu einer Reihe von Efeu überzogenen Backsteingebäuden mit hohen, weiß gerahmten Sprossenfenstern. Ihr Mann blieb stehen und fuhr sich mit dem Rücken der Hand, die noch immer den Hut hielt, über die Stirn.
Martin Jehle war müde und fühlte sich ausgehöhlt, aber gleichzeitig merkwürdig leicht und schwebend. Sie waren um vier Uhr aufgestanden, um rechtzeitig in Stuttgart-Echterdingen den frühesten Flieger nach Berlin-Schönefeld zu bekommen, der noch zwei Plätze frei hatte. Zum Flug war nichts weiter zu sagen, keine Turbulenzen, und Elisabeth hatte einen Platz am Fenster bekommen. Gesprochen hatten sie nicht viel, auch nicht, als sie in Schönefeld die S-Bahn nach Berlin-Stadtmitte gefunden hatten. Elisabeth hatte dann darauf bestanden, dass er noch ein zweites Frühstück nahm - im Flieger hatte es nichts außer einem Becher fast ungenießbaren Kaffees gegeben.
»Dass du jetzt auch noch eine Unterzuckerung bekommst, das kann ich nun wirklich nicht brauchen«, hatte sie gesagt, als würde ihm so etwas nur aus Jux und Tollerei passieren. In einer Bäckerei mit einem Stehcafé hatte er ein labberiges Sandwich gegessen, danach waren sie in die falsche S-Bahn gestiegen, vielleicht hatte er wirklich zu lange mit dem Sandwich gewartet, aber dann hatten sie doch noch die richtige Bahn gefunden, und wenn er jetzt auf die Uhr sah, waren sie immer noch eine halbe Stunde zu früh.
K ommissarin Tamar Wegenast trat aus der Rezeption auf die Straße hinaus und sah sich um. Es roch nach Autos und nach Herbst, und die Sonne, die dabei war, den Nebel aufzulösen, tauchte die Schattenseite der Straße in einen bläulichen Farbton. Mit einem kurzen Ruck am Revers zog die Kommissarin das Tweedjackett zurecht, das unter der linken Schulter ein wenig ausgebeult war, und schlug den Weg in Richtung Westen ein. Die Scheiben der geparkten Autos waren noch vom Nebel beschlagen, und die Kennzeichen waren solche von Frankfurt oder seinem Umland.
Gestern, nach ihrem Gespräch mit Blocher und ihrem Besuch in einem Internet-Café, war sie mit dem nächsten Zug nach Frankfurt gefahren und hatte in dem kleinen Hotel im Frankfurter Nordend so schlecht geschlafen wie in den Nächten zuvor. Das hatte nicht nur mit dem Rauschen der Entlüftungsschächte zu tun, die den Küchendunst des chinesischen Restaurants aus dem Erdgeschoss in den Nachthimmel bliesen. Noch am Abend hatte sie aus dem Hotel mit Hannah telefoniert, belanglose Fragen, belanglose Antworten, die Vernissage sei wirklich ein Erfolg geworden, »einige sehr freundliche Rezensionen, ja doch, aber warum rufst du an?«
Wie sich herausstellte, würden
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